Reformierte
Situation in der Gegenwart
Die reformierten Kirchen gehen auf die reformatorischen Bewegungen zurück, die ab 1522 in der Schweiz und im oberdeutschen Raum auftraten. In Lehre, Liturgie und Tradition bilden sie einen eigenen Strang innerhalb der evangelischen Christenheit. Weltweit gesehen gibt es ca. 80 Millionen reformierte Christ:innen. Die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen hat ihren Sitz in Hannover.
Insgesamt gibt es in Deutschland ca. 2.000.000 reformierte Christ:innen. Diese leben in verschiedenen Formen kirchlicher Organisation. Landeskirchen mit einem ausdrücklich reformierten Bekenntnis sind die Lippische Landeskirche mit Sitz in Detmold (ca. 152.000 Mitglieder), die allerdings auch eine „lutherische Klasse“ für die lutherischen Gemeinden auf dem Gebiet dieser Landeskirche hat, und die Evangelisch-reformierte Kirche mit Sitz in Leer (ca. 168.500 Mitglieder), die kein geschlossenes Territorium hat. Zu ihr gehören vor allem reformierte Gemeinden in Niedersachsen und in Bayern, aber auch einzelne Gemeinden in Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Schleswig-Holstein. Darüber hinaus gibt es reformierte Gebiete in unierten Landeskirchen, wie z. B. in der Grafschaft Tecklenburg, im Siegerland, im Wittgensteiner Land, am Niederrhein, im Bergischen Land, auf dem Hunsrück, in Hessen, in Mitteldeutschland und in Brandenburg. Die reformierten Gemeinden von Dresden, Stadthagen und Bückeburg haben sich zum Bund Evangelisch-reformierter Kirchen Deutschlands zusammengeschlossen, der der EKD formell nicht angehört. Als Dachverband reformierter Kirchen und Gemeinden in Deutschland gilt der Reformierte Bund, der im gleichen Haus wie die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen in Hannover seinen Sitz hat.
Die Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen ist zwischen 1838 und 1849 aus der Evangelisch-reformierten Kirche aus Protest gegen liberale Tendenzen hervorgegangen. Darüber hinaus gibt es in Heidelberg und in Gießen selbstständige reformierte Gemeinden.

Geschichte
Reformierte Kirchen gehen auf das Wirken von Ulrich Zwingli (Zürich), Martin Bucer (Straßburg), Johannes Oekolampad (Basel) und Guillaume Farel (Genf) zurück. Wichtige Protagonisten der zweiten Generation sind Johannes Calvin (Genf), Heinrich Bullinger (Zürich) und Johannes Laski (Emden).
Als Anfang der Reformation in Zürich gilt das sogenannte Wurstessen am 9. März 1522, am Vorabend des ersten Fastensonntags. Zwingli, der zwar anwesend war, aber nicht mitaß, verteidigte zwei Wochen später in der Predigt den Fastenbruch. In den Jahren davor hatte Zwingli die traditionelle Leseordnung durch die fortlaufende Lesung des Matthäusevangeliums ersetzt.
Nach mehreren Disputationen wurden die Messe und die Bilder in den Kirchen abgeschafft. Ostern 1525 wurde das erste evangelische Abendmahl gefeiert, bei dem schlichtes Geschirr aus Holz verwendet und der Gemeinde in den Bankreihen Brot und Wein gereicht wurde. 1529 kam es aufgrund verschiedener Abendmahlsauffassungen zum endgültigen Bruch zwischen Zwingli und Luther. Spätestens von diesem Datum an muss von zwei evangelischen Konfessionen gesprochen werden. Der Nachfolger von Zwingli, Heinrich Bullinger, führte nach Zwinglis Tod 1531 die Reformation in Zürich fort. Seine Dekaden gehören zu den am weitesten verbreiteten Büchern unter reformierten Christ:innen, so dass im deutschsprachigen Bereich vieles, was als typisch reformierte Theologie gilt, wie z. B. die Bundestheologie, auf Bullinger zurückgeht.
In Genf wurde die Reformation von Guillaume Farel 1535 eingeführt. Ein Jahr später kam der Franzose Johannes Calvin in die Stadt, in der er, abgesehen von seiner Zeit in Straßburg 1538-1541, bis zu seinem Tod die Reformation geprägt hat. Im Gegensatz zum weit verbreiteten Vorurteil baute Calvin in Genf keine Theokratie auf, sondern musste Zeit seines Lebens mit dem Rat der Stadt um die angemessene Gestaltung der reformierten Kirche ringen. Sein Wunsch zum Beispiel, jeden Sonntag das Abendmahl zu feiern, wurde vom Rat nicht gebilligt. Ein Kennzeichen der Genfer Kirche ist die Ämterstruktur mit ihrem viergliedrigen Amt (Pastoren – Lehrer – Presbyter – Diakone ).
Um die Reformation in der Schweiz gegenüber Kaiser Karl V. zu stärken, unterzeichneten Calvin und Bullinger Ende Mai 1549 den Consensus Tigurinus, ein Dokument, durch das Einigkeit in der Sakramentenlehre hergestellt werden sollte. Obwohl beide in der Frage nach der Gegenwart Christi im Abendmahl unterschiedliche Positionen vertraten, gelang es ihnen, einen Minimalkonsens zu formulieren, um die Einheit der Schweizer Kirche zu stärken.
Mit der Hinwendung des Pfälzischen Kurfürsten Friedrich III. zur reformierten Lehre fasste die reformierte Reformation auch in Deutschland Fuß. Der 1563 erschienene Heidelberger Katechismus gehört bis heute zu den wichtigsten Bekenntnisschriften der Reformierten in Deutschland. Im „Westfälischen Frieden“ (1648) wurde die „reformierte Religionspartei“ als dritte neben der katholischen und der lutherischen anerkannt.

Glaubensinhalte
Reformierte vertreten, wie auch Lutheraner, das sola scriptura sowie die Rechtfertigung allein aus Glauben (sola fide) und allein aus Gnade (sola gratia), setzen dabei aber eigene Akzente. Sie betonen stärker die Einheit von Altem und Neuen Testament. Beide Testamente haben das gleiche Thema, nämlich Gottes Bund mit den Menschen. Die Heilige Schrift hat unbedingten Vorrang vor allen anderen Äußerungen der Kirche, auch vor den Bekenntnissen.
Reformierte kennen kein weltweit gültiges Bekenntnis, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Bekenntnistexte. Jede Kirche gibt sich selbst das Bekenntnis wie auch ihre Kirchenordnung. So können unter Umständen auch neue Bekenntnisse entstehen, wie zum Beispiel die Barmer Theologische Erklärung (1934), die manche reformierte Kirchen zu ihren Bekenntnissen zählen.
Reformierte betonen den Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung: Wer von Gott gerechtfertigt worden ist, wird durch den Heiligen Geist dazu befähigt, auch sein Leben zu erneuern und Gottes Gebote zu erfüllen. Hier wird der enge Zusammenhang von Glauben und Ethik deutlich.
Wenn allein der Glaube rechtfertigt und der Glaube selbst kein menschliches Werk ist, dann steht das Heil eines Menschen allein in Gottes Willen, und zwar in dessen Erwählung durch Gott (Prädestinationslehre). Diese Lehre sollte die Menschen ihres Heils vergewissern. In späteren Zeiten jedoch hat sie sich bei Calvin verselbstständigt. Auf der Synode von Dordrecht 1618/19 wurde dann verbindlich gelehrt, dass Gott die Menschen entweder zum Heil oder zur Verdammnis prädestiniere. Erst in späteren Generationen glaubte man Gottes Erwählung am wirtschaftlichen Erfolg ablesen zu können.
Der älteste Bekenntnistext der reformierten Kirche betont: „Die heilige christliche Kirche, deren einziges Haupt Christus ist, ist aus dem Worte Gottes geboren“ (Erste Berner These, 1528). In diesem Sinne muss die Kirche gestaltet werden, da die Gestalt der Kirche nicht sekundär ist. Die Kirche wird daher – bis heute – synodal geleitet, wobei keine Gemeinde einen Vorrang gegenüber einer anderen hat (Erste These der Emder Synode von 1571). Die Gemeinde wird von den Pastoren, den Diakonen und den Presbytern geleitet; Letztere besuchten früher die Gemeindeglieder, um im Extremfall hartnäckige Sünder vom Abendmahl ausschließen zu können (Kirchenzucht). Auch so soll der Zusammenhang von Rechtfertigung und dem daraus folgenden heiligen Lebenswandel deutlich werden.
Im Bereich der Abendmahlslehre kennt die reformierte Lehre drei Lehrgestalten, die bis heute vertreten werden. (1.) Zwingli verstand Brot und Wein als Erinnerungszeichen, die auf Tod und Auferstehung Jesu hinweisen. Die Gegenwart von Christi Leib und Blut unter oder in Brot und Wein lehnte er mit dem Hinweis ab, dass der Leib Christi seit dessen Himmelfahrt im Himmel sei. Gegenwärtig in der Feier sei aber die göttliche Natur Jesu Christi. (2.) Heinrich Bullinger lehnt, wie Zwingli, die Realpräsenz von Christi Leib und Blut ab. Durch Brot und Wein bezeuge Gott, dass die empfangende Gemeinde bereits Gemeinschaft mit Jesus Christus hat. (3.) Johannes Calvin vertritt, dass die Glaubenden unter Brot und Wein, durch das Wirken des Heiligen Geistes, Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut haben. Allen gemeinsam ist die stiftungsgemäße Austeilung von Brot und Wein sowie die Bestreitung des Opfercharakters des Abendmahls.
Glaubens- und Gemeindeleben
Der reformierte Gottesdienst und der reformierte Kirchenraum sind durch Konzentration geprägt, nämlich auf das Hören von Gottes Wort in Schrift und Predigt sowie auf das Abendmahl. Idealtypischer stehen daher in einem reformierten Kirchenraum die Bänke im Halbkreis um den Abendmahlstisch mit der Bibel darauf und die Kanzel. Die Verwendung von Bildern wird mit dem Hinweis auf das biblische Bilderverbot abgelehnt. Auch soll so alles ausgeschlossen werden, was vom Wort Gottes ablenkt.
Die reformierte Liturgie gilt als schlicht, weil sie auf fest gefügte Antworten der Gemeinde verzichtet und keine liturgischen Gesänge kennt. Als typisch reformiert gilt der Gemeindegesang, vor allem des Genfer Psalters. Der „Genfer Psalter“ geht auf die Initiative von Johannes Calvin zurück und bietet alle 150 Psalmen als gereimte und für die Gemeinde singbare Gemeindegesänge. Das Abendmahl wird mittlerweile meist monatlich gefeiert.
Es gibt keine für alle Reformierten verbindliche Gottesdienstordnung. Die Reformierte Liturgie, das 1999 herausgegebene Gottesdienstbuch, bietet folgende Grundordnung mit der Möglichkeit von Variationen, wobei aktuell darüber diskutiert wird, wie diese Liturgie modernisiert werden kann:
- Musik zum Eingang
- Eingangswort
- Psalm oder Lied
- [Verlesung von Gottes Gebot]
- Eingangsgebet mit Sündenbekenntnis
- Schriftlesung
- Glaubensbekenntnis
- Lied
- Predigt
- Lied oder Musikstück
- Wenn das Heilige Abendmahl gefeiert wird, wird es an dieser Stelle eingefügt:
- Worte zum Abendmahl
- Einsetzungsworte
- Abendmahlsgebet
- [Unser Vater]
- Einladung
- Austeilung
- Danksagung
- Psalm oder Lied
- Bekanntmachungen und Abkündigungen
- Dank- und Fürbittengebet
- Gebet des Herrn (Unser Vater)
- Lied
- Segen
- Musik zum Ausgang
Ein wichtiger Punkt reformierter Frömmigkeit ist die Diakonie. Calvin zum Beispiel zählt den Dienst an den Armen zu den unverzichtbaren Ämtern der Kirche. Dieser Dienst wird auch als Dienst an der Gesellschaft verstanden.

Ökumene
Die reformierte Lehre von der Kirche geht davon aus, dass zur Kirche all die gehören, die von Gott seit jeher berufen sind. Dementsprechend kann die eine Kirche aus reformierter Sicht nicht mit einer Konfession gleichgesetzt werden. In die Tat umgesetzt wird diese Überzeugung im Engagement für die Ökumene, an der Reformierte von Anfang an teilgenommen haben. Sie beteiligen sich – entweder im Rahmen der EKD oder der Weltgemeinschaft reformierter Kirchen – an den entsprechenden ökumenischen Dialogen.
Eine besondere Bedeutung hat der innerevangelische Dialog. Aufgrund der verschiedenen Abendmahlsauffassungen seit der Frühzeit der Reformation hatten die verschiedenen evangelischen Kirchen keine Abendmahlsgemeinschaft. Seit der Leuenberger Konkordie (1973) aber haben reformierte, lutherische und unierte Kirchen miteinander Kirchengemeinschaft, wozu vor allem Abendmahls- und Kanzelgemeinschaft zählen. Die Differenzen in der Abendmahlsfrage wurden als nicht mehr kirchentrennend erklärt. Alle deutschen evangelischen Landeskirchen sind der Konkordie beigetreten.
Auf weltweiter Ebene führen Reformierte ökumenische Dialoge mit der Anglikanischen Gemeinschaft, dem Lutherischen Weltbund, der Orthodoxen Kirche, der Römisch-katholischen Kirche sowie mit Pfingstlern und unabhängigen Kirchen in Afrika.
Frank Ewerszumrode
gegengelesen von Dirk Spornhauer
Literatur
- 2017 – Nach Gottes Wort Reformiert. Magazin zum Reformationsjubiläum, hrsg. v. Reformierter Bund in Deutschland, Ev.-reformierte Kirche, Lippische Landeskirche, Ev.-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich, Hannover 2016.
- Busch, Eberhard / Plasger, Georg u.a.: Art. Reformierte Kirchen, in: RGG4 7 (2004), 165-183.
- Busch, Eberhard: Reformiert. Profil einer Konfession, Zürich 2007.
- Körtner, Ulrich: Reformierte Kirchen, in: ders., Ökumenische Kirchenkunde, Leipzig 2018, 183-197.
- Plasger, Georg / Freudenberg, Matthias (Hg.): Reformierte Bekenntnisschriften. Eine Auswahl von den Anfängen bis zur Gegenwart, Göttingen 2005.