Reformation
Begriffsdefinition
Das Wort „Reformation“ bezeichnet im beginnenden Mittelalter die Wiederherstellung eines früheren, von Gott gewollten Zustandes und damit einhergehend die Beseitigung von Missständen oder Fehlentwicklungen. „Reformation“ ist kein rein kirchlich geprägtes Wort, vielmehr kommt es auch im universitären oder in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens vor. Gemeint ist aber immer die Rückkehr zu einem als besser und ursprünglicher verstandenen Zustand bzw. auch eine Neuordnung insgesamt. Bereits vor dem 16. Jahrhundert wurden Forderungen laut, die Kirche an Haupt und Gliedern zu reformieren. In diesem Zusammenhang sei erinnert an die Klosterreform von Cluny im 10. Jahrhundert oder an die Armutsbewegung im 12. Jahrhundert. Das 15. Jahrhundert ist geprägt von sog. Reformkonzilien (Konstanz, Basel, Konzil von Florenz).
Im heutigen innerkirchlichen Verständnis bezeichnet der Begriff eine Spanne von ca. 100 Jahren, die 1517 mit der Veröffentlichung der Thesen Martin Luthers beginnt und mit der Phase der Konfessionalisierung des 17. Jahrhunderts endet. Luther benutzt den Begriff der Reformation eher selten und sieht die Reformation in erster Linie als Gottes Werk an. Der Begriff der Reformation wird in den Folgejahren von weiteren Reformatoren häufiger gebraucht und schlussendlich zur Bezeichnung der historischen Epoche.
Aufgrund dieser beiden unterschiedlichen Bedeutungen der Begrifflichkeiten wird auch im Folgenden zwischen dem theologischen und dem historischen Sinngehalt unterschieden.
Darstellung des Verständnisses in den verschiedenen Konfessionen
Wie Martin Luther sehen auch viele andere Reformatoren die Reformation als Gottes Werk an. Entscheidend für die lutherische Reformation ist die schriftgemäße Verkündigung, demnach keine Erschaffung von Neuem, sondern eine Rückkehr zum Evangelium. Weiterhin gehören die Konzilien und die Kirchenväter als Kriterien zur rechten Reformation. Seine Kernfrage „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ führte zu weitreichenden theologischen Konsequenzen, insbesondere vor dem Hintergrund des damaligen Ablasshandels . Luthers Ziel war eine Rückkehr zum Evangelium, indem die Rechtfertigung allein aus Gnade, die Lehre vom allgemeinen Priestertum und die Heilige Schrift als letzte Autorität neu in das Zentrum der Verkündigung gestellt wurden. Als Metanoia (geistliche Umkehr des Menschen) erachtete Luther vor allem die Abkehr von der Scholastik und der Autorität des Papstes für notwendig und forderte damit eine Reformation der Lehre, der Praxis und des Papsttums. Luthers Lehre wurde 1520 als häretisch verurteilt, sodass seine intendierte Erneuerung der Kirche in eine Kirchenspaltung mündete. Luther entwickelte daraufhin eine neue Lehre, die sich an den vier sola orientierte: solus Christus (allein Christus), sola gratia (allein aus Gnade), sola scritpura (allein die Heilige Schrift), sola fide (allein durch den Glauben). In der Folgezeit kam es zur Bildung eigenständiger Bekenntnisse und Kirchenordnungen.
Die Reformschriften, die nach 1520 entstanden, beeinflussten die weiteren Reformatoren wie Huldrych Zwingli , Johannes Oekolampad, Guillaume (Wilhelm) Farel und Johannes Calvin. Für letzteren betraf die Reformation auch die presbyterial-synodale Form der Kirche und die Kirchenzucht. Allen Reformatoren ist gemeinsam, dass sie zunächst keine neue Kirche gründen, vielmehr die bestehende in eine „ecclesia reformata, semper reformanda“ (reformierte Kirche, die ständig zu reformieren ist) verwandeln wollten.
Aus der sogenannten ‚radikalen Reformation‘ entstand in der Reformationszeit auch die Täuferbewegung, in der die Säuglingstaufe abgelehnt und stattdessen die Gläubigentaufe propagiert wurde. Die Täuferbewegung verwendet den Begriff der Reformation nur selten, sie zielt aber dennoch auf die Wiederherstellung der Alten Kirche ab, die ohne Hilfestellung der weltlichen Obrigkeit geschehen soll. Insbesondere bei Thomas Müntzer ist die Reformation eng verknüpft mit einer Erwartung der baldigen Wiederkunft Christi, sodass zur wahren Reformation die Scheidung der Gläubigen von den Gottlosen und die endzeitliche Sammlung der Erwählten wesensgemäß hinzugehört.
In der römisch-katholischen Kirche begann mit dem Konzil von Trient die Reform der Kirche in Abgrenzung zur lutherischen Reformation. Das Zweite Vatikanische Konzil besann sich auf die Grundlagen des Evangeliums, auf biblische, liturgische und patristische Quellen und stieß damit eine Erneuerung innerhalb der römisch-katholischen Kirche an.
Stand der ökumenischen Diskussion
Hinsichtlich des gemeinsamen Verständnisses der Reformation hat das 500-jährige Jubiläum des Thesenanschlags Martin Luthers im Jahr 2017 einen Meilenstein gesetzt. Mit dem Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ der internationalen Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit ist es gelungen, eine gemeinsame Beschreibung der Geschehnisse der Reformationszeit zu formulieren und so eine ökumenische Erinnerungskultur mit Blick auf die Reformation zu etablieren. Mit Blick auf die Geschichte der Reformation hält das Dokument fest: „Was in der Vergangenheit geschehen ist, kann nicht geändert werden. Was jedoch von der Vergangenheit erinnert wird und wie das geschieht, kann sich im Laufe der Zeit tatsächlich verändern. Erinnerung macht die Vergangenheit gegenwärtig. Während die Vergangenheit selbst unveränderlich ist, ist die Präsenz der Vergangenheit in der Gegenwart veränderlich. Mit Blick auf 2017 geht es nicht darum, eine andere Geschichte zu erzählen, sondern darum, die Geschichte anders zu erzählen.“ (16) International wurde die Erinnerung an die Reformation so ökumenisch wie niemals zuvor in der Geschichte begangen. Ausdruck dessen war die gemeinsame Eröffnung des Reformationsjahres am 31. Oktober 2016 im schwedischen Lund, dem Gründungsort des Lutherischen Weltbundes, an der auch Papst Franziskus teilnahm.
In Deutschland führte das 2013 veröffentlichte Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ zu einem ökumenischen Durchbruch mit Blick auf die Feierlichkeiten 2017. Durch die gemeinsame Entdeckung, dass es Martin Luther mit seiner Reformation in erster Linie darum ging, Jesus Christus wieder in das Zentrum der Kirche und der Verkündigung zu rücken, wurde zwischen der Römisch-katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland das „Christusfest“ ausgerufen, unter dessen Dach sich verschiedene Initiativen sammelten; insbesondere seien hier die Besinnung auf die gemeinsamen Wurzeln bei einer ökumenischen Pilgerreise ins Heilige Land und der im März 2017 in Hildesheim durchgeführte Healing-of-Memories-Gottesdienst genannt. Letzterer hatte durch die theologische Grundlage des Dokuments „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen“ ebenfalls eine Aufarbeitung der schmerzhaften und weiterhin belastenden Erinnerungen an die Geschichte der Reformation zur Folge, deren Erkenntnisse dann liturgisch mit der Bitte um Heilung und Versöhnung vor Gott gebracht wurden. Das Dokument stellt fest: „Healing of Memories ist nicht der Versuch, die Geschichte umzuschreiben, aber die erklärte Absicht, die Erinnerung von einem Mittel der Abgrenzung zu einem Mittel der Versöhnung werden zu lassen. Wir beten um Einheit, wissen aber, was uns bei allen Gemeinsamkeiten unterscheidet. Diese Unterschiede sollen uns nicht daran hindern, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten und hoffnungsvoll gemeinsame Gottesdienste zu feiern. Dann können die Verletzungen aus der Geschichte vernarben. Eine Wunde ist geheilt, wenn sie nicht mehr verbunden werden muss und nicht mehr schmerzt – und man die Narben, die sie womöglich hinterlassen hat, berühren kann, ohne dass es weh tut.“ Die Erinnerung an die Reformation muss die Konfessionen danach nicht mehr trennen, sondern kann als Teil einer gemeinsamen Geschichte in ihren Erfolgen und Misserfolgen ehrlich betrachtet werden.
Die ökumenische Herangehensweise an die Reformationsgeschichte ist zum Vorbild geworden für die Vorbereitungen der Erinnerung an den 500. Jahrestag des Beginns der Täuferbewegung im Jahr 2025. Mithilfe von Themenjahren und dazugehörigen Themenheften möchte ein ökumenisch besetzter Steuerungskreis an den „linken Flügel der Reformation“ erinnern, dessen Erbe Baptisten, Mennoniten, Pentekostale, Quäker und weitere sich auf die Täuferbewegung zurückbeziehenden Kirchen bis in die Gegenwart tragen.
Übereinstimmung zwischen allen Kirchen besteht heute darüber, dass die Kirche „semper reformanda“ ist, also als solche stets der Erneuerung bedarf, an deren Anfang die Buße steht und die aufgrund eines neuen Hörens auf das Wort Gottes entsteht. In der Ökumene setzt sich immer mehr die Überzeugung einer gemeinsamen, überkonfessionellen Umkehrbewegung durch. Die Besinnung auf die gemeinsamen Wurzeln wie die altkirchlichen Konzilien, die Lehre der Kirchenväter, die Heilige Schrift, christologische und pneumatologische Auffassungen, hat dazu geführt, dass konfessionelle Standpunkte stärker im Miteinander der anderen Konfessionen angeschaut, überprüft und korrigiert werden.
Verena Hammes
Literatur
Congar, Yves: Reformation (Erneuerung, Reform) II, kath. Sicht, in: Ökumene Lexikon. Kirchen, Religionen, Bewegungen, hrsg. v. Hanfried Krüger, Werner Löser, Walter Müller-Römheld, Frankfurt am Main 21987, 1029-1034.
Hammes, Verena: Erinnerung gestalten. Zur Etablierung einer ökumenischen Gedächtniskultur am Beispiel der Reformationsmemoria 1517-2017 (Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien 81), Paderborn 2019.
Lienhard, Marc: Reformation (Erneuerung, Reform) I, evang. Sicht, in: Ökumene Lexikon. Kirchen, Religionen, Bewegungen, hrsg. v. Hanfried Krüger, Werner Löser, Walter Müller-Römheld, Frankfurt am Main 21987, 1022-1029.
Erinnerung heilen. Jesus Christus bezeugen. Ein gemeinsames Wort zum Jahr 2017 (Gemeinsame Texte 24), herausgegeben von der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bonn/Hannover 2016.
Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017. Bericht der Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit, Leipzig / Paderborn 2013.