Kirchliche Leitungsstrukturen / Kirchenverfassung

Kirche und Leitung

Die verschiedenen Kirchen sind unterschiedlich verfasst. Das bedeutet eine unterschiedliche Strukturierung und eine unterschiedliche Ordnung, wie die Leitung einer Kirche geordnet ist. Im Laufe der Kirchengeschichte haben sich unterschiedliche Leitungsstrukturen herausgebildet, wobei nicht nur theologische Einsichten eine Rolle spielten, sondern auch Aspekte wie das jeweils vorherrschende Rechtssystem oder sonstige kulturelle Einflüsse wirksam waren. Das zeigt sich an den Leitungsstrukturen, die sich heute in der römisch-katholischen Kirche, den orthodoxen Kirchen und den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen zum Teil erheblich voneinander unterscheiden, wobei es besonders in den Reformationskirchen eine große Vielfalt von Leitungsstrukturen gibt.


Römisch-katholische Kirche

Die Römisch-katholische Kirche wird bischöflich geleitet, sie ist ihrer Struktur nach eine an den Bischöfen orientierte Kirche. Sie besteht aus bischöflichen Ortskirchen (Lumen gentium 23), Bistum oder Diözese genannt, welche von einem Bischof geleitet werden, dem die „Fülle der Weihegewalt“ (LG 21,26) gegeben ist. Er leitet die Diözese kraft eigenen Amtes, nicht in Delegation oder Stellvertretung des Papstes (CIC 1983, canones 381-402). Eine Diözese ist in Pfarreien unterteilt, die von einem Pfarrer im Auftrag und als Stellvertreter des Bischofs geleitet werden. Auf nationaler Ebene bilden die Diözesen eine Bischofskonferenz, auf regionaler Ebene eine Kirchenprovinz mit einem Metropoliten bzw. Erzbischof an der Spitze, mehrere Pfarreien in einer Diözese bilden ein Dekanat mit einem vom Bischof bestellten Dekan.
Die Gesamtheit der Bischöfe bildet als das Bischofskollegium das Apostelkollegium ab (LG 22). An deren Spitze steht der Papst als Bischof von Rom. Er gilt als „immerwährendes und sichtbares Fundament der Einheit in Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ (LG 23). Um diese Einheit zu gewährleisten, hat er die höchste Rechtsgewalt in der Kirche, den sogenannten Jurisdiktionsprimat, der es ihm ermöglicht, in die einzelnen Bistümer und Befugnisse des Ortsbischofs einzugreifen (vgl. Pastor Aeternus Nr. 11). Darüber hinaus hat er das oberste Lehramt inne, das in bestimmten Lehrentscheidungen Unfehlbarkeit beanspruchen kann (PA 21).  
Dennoch kennt die Römisch-katholische Kirche auch Elemente synodaler Beratung, auf Pfarreiebene in den Pfarrgemeinderäten und Kirchenvorständen, auf Bistumsebene in den Diözesanpastoralräten und Vermögensverwaltungsräten. Bis auf die Finanzverwaltung haben diese Räte aber nur beratenden Charakter. Auf weltkirchlicher Ebene haben sich Bischofssynoden etabliert, die ebenfalls beratenden Charakter haben. 


Orthodoxe Kirchen

Die byzantinisch-orthodoxen Kirchen verstehen sich als eine Gemeinschaft autokephaler Kirchen, d.h. mit selbst (ohne Mitwirkung einer Mutterkirche) eingesetztem Oberhaupt (Patriarch, Katholikos, Erzbischof oder Metropolit). Die Vorstufe der Autokephalie ist die Autonomie. Eine autonome Kirche verwaltet sich selbst, hat aber noch eine rechtliche Bindung an die Mutterkirche, von der sie auch das Myron (Salböl) empfängt. Eine autokephale Kirche ist völlig selbstständig, der Patriarch von Konstantinopel, der den Titel „Ökumenischer Patriarch“ trägt, ist Ehrenoberhaupt dieser Gemeinschaft autokephaler Kirchen, hat aber keinerlei Rechte, in deren Angelegenheiten hineinzuregieren. Zwischen den einzelnen Kirchen strittige Fragen fallen in die Kompetenz eines sogenannten Panorthodoxen Konzils, welches zuletzt 2016 auf Kreta stattfand, aber in seiner Legitimität umstritten ist. 
Die einzelnen Kirchen haben eine bischöflich-synodale Struktur, in der Diözese hat der Bischof die höchste Gewalt, er setzt Priester, Diakone und andere Funktionsträger ein, und die Priester verwalten im Auftrag des Bischofs die Pfarreien. Auf gesamtkirchlicher Ebene ist das oberste Organ die Synode der Bischöfe, die vom Ersthierarchen (Patriarch, Erzbischof oder Metropolit) präsidiert wird, dessen Jurisdiktionsgewalt sich aber weitgehend auf das eigene Bistum beschränkt. Die Wahl des Oberhauptes geschieht in einigen Kirchen durch ein Wahlgremium, welches teilweise mehrheitlich aus Laien besteht, in anderen Kirchen besteht das Wahlgremium nur aus Bischöfen. In einzelnen Kirchen haben Laien auch ein Wahlrecht bei der Bischofswahl. 
Ähnlich verhält es sich bei den orientalisch-orthodoxen Kirchen , die allerdings nicht einen Bund autokephaler Kirchen bilden wie die östlich-orthodoxen Kirchen . Auch hier gibt es synodale Strukturen, die unterschiedlich ausgeprägt sind.


Altkatholische Kirchen

Auch wenn bei den altkatholischen Kirchen ein Bischof an der Spitze steht, so werden diese Kirchen gemeinsam von Bischof und Bistumssynode geleitet. Im altkatholischen Bistum Deutschlands ist die Bistumssynode das oberste Gesetzgebungsorgan der Kirche und besteht zu zwei Drittel aus Laien und zu einem Drittel aus Geistlichen. Diese wählt den Bischof. Zwischen den Synoden leiten von der Bistumssynode gewählte Laien und Geistliche zusammen mit dem Bischof das Bistum. Das Bistum ist in Dekanate gegliedert, die Dekane/Dekaninnen werden von den Kirchenvorständen der Gemeinden des Dekanates gewählt. Die Pfarrer werden von den Gemeindeversammlungen gewählt und vom Bischof ernannt.


Anglikanische Kirchen

Auch in der Anglikanischen Gemeinschaft  (Anglican communion), die sich als eine Gemeinschaft von autonomen Mitgliedskirchen versteht, hat der Bischof eine zentrale Rolle. Aber die Anglican Communion kennt keine zentralisierten Strukturen der Autorität, sondern vertritt seit der englischen Reformation das Prinzip, dass kein Bischof (ob von Rom, Canterbury oder Konstantinopel) für die Geschäfte eines anderen Bistums weisungsbefugt ist. Dennoch gibt es in der Gemeinschaft vier sogenannte „Instruments of Communion“ (Instrumente der Einheit) – in der Reihenfolge ihres Entstehens sind dies: der Erzbischof von Canterbury, die Lambeth Conference (ein turnusmäßiges Treffen aller anglikanischen Bischöfe weltweit), der Anglican Consultativ Council, ein Rat, der für Kontinuität zwischen den Lambeth Conferences sorgen soll, und das Treffen der ranghöchsten Bischöfe der einzelnen autonomen Provinzen (Primates` Meeting). 
Oberster geistlicher Leiter der Kirche ist der Primas der Church of England, der Erzbischof von Canterbury als Primus inter pares. Er besitzt kein Weisungsrecht gegenüber den übrigen Kirchen der Kirchengemeinschaft. Als höchste gesetzgebende Instanz hat die anglikanische Kirche an ihrer Spitze für gewöhnlich eine synodale Versammlung, die sich aus den Bischöfen, Klerusvertretern und Laienvertretern zusammensetzt. Jeder Diözese steht ein Bischof vor.
Die enge Verzahnung von Staat und Kirche in England wirkt sich in verschiedenen Bereichen aus: zum Beispiel in der formellen Ernennung von Diözesan- und Erzbischöfen durch die Krone. Die Entscheidung zugunsten der Ordination von Frauen zum Priesteramt konnte erst rechtskräftig werden, nachdem beide Häuser des Parlaments ihrerseits zugestimmt hatten.


Evangelische Landeskirchen

Die evangelischen Landeskirchen kennen Leitungsmodelle, in denen sich Laien und Amtsträger auf Augenhöhe begegnen. Nach jeder Kirchenverfassung sind Ordinierte und Nichtordinierte an der Kirchenleitung beteiligt. In der Regel bauen sich evangelische Landeskirchen in Deutschland von den Ortsgemeinden her auf. Die Leitung einer Ortsgemeinde obliegt einem von den wahlberechtigten (i.d.R. konfirmierten) Gemeindegliedern gewählten Leitungsgremium, welches mal Presbyterium, mal Kirchenvorstand genannt wird. Den Vorsitz dieses Gremiums können sowohl Ordinierte wie Nichtordinierte haben. Dieses Gremium hat weitreichende Vollmachten, entscheidet über Finanzen und Gottesdienstformen sowie Personalfragen und kann i.d.R. auch den Pfarrer bzw. die Pfarrerin wählen. Aus ihrer Mitte wählen sie Delegierte für die Kreis-/Dekanatssynode, dieses Gremium wiederum wählt Delegierte für die Landessynode, das gesetzgebende Gremium einer Landeskirche. Die Landessynode ist mehrheitlich von Nichtordinierten besetzt, wählt die leitenden Geistlichen und beschließt den Haushalt sowie die Kirchengesetze. An die Beschlüsse der Landessynode ist die Kirchenleitung als ausführendes Organ gebunden. Die deutschen Landeskirchen haben sich in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD ) zusammengeschlossen, die als Organe die Synode, welche sich aus den Delegierten der Landeskirchen zusammensetzt, die Kirchenkonferenz (d.h. die leitenden Geistlichen der Landeskirchen) und den Rat kennt. Die Synode der EKD hat nur beschränkte Vollmachten, die Beschlüsse des Rates der EKD brauchen die Zustimmung der Landeskirchen, um rechtlich bindend zu werden.


Freikirchen

Die Leitungsstrukturen der Freikirchen  bilden deren große Vielfalt ab und sind dementsprechend vielfältig. Bei den sogenannten konfessionellen Freikirchen wie der Selbstständig Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK ) Deutschlands oder der Evangelisch-altreformierten Kirche  in Niedersachsen finden sich ähnliche Strukturen wie bei den reformierten und lutherischen Landeskirchen, die zur EKD gehören.
Bei den sogenannten klassischen Freikirchen, die sich zur Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF ) zusammengeschlossen haben, dominiert das sogenannte kongregationalistische Modell in verschiedenen Ausformungen. Kongregationalistisch bedeutet, dass die einzelne Gemeinde selbstständig ist und ihre Angelegenheiten entsprechend regelt. Organe sind Gemeindevorstand und Gemeindeversammlung. Übergeordnete Zusammenschlüsse wie der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden  in Deutschland oder der Bund Freier Evangelischer Gemeinden  haben primär helfende, beratende koordinierende Funktion und sind dafür da, dass gemeinsame Aufgaben wie Diakonie und die Ausbildung der Prediger und Pastoren zu gewährleisten.  
Andere Freikirchen wie die Mennoniten  kennzeichnet ein stärker ausgeprägter Kongregationalismus: Jede Gemeinde ist in allen Fragen selbstständig, mit der Gemeindeversammlung als höchstem Beschlussorgan. Allerdings schließen sich auch mennonitische Gemeinden zu Konferenzen oder Arbeitsgemeinschaften zusammen, um Aufgaben zu bewältigen, mit der die einzelne Gemeinde überfordert wäre. Auch hier ergänzen synodale Strukturen den Kongregationalismus. Die traditionellen Gemeinden Deutschlands arbeiten heute in einer Arbeitsgemeinschaft zusammen (Vereinigung Deutscher Mennonitengemeinden, VDM). 
Als ein Beispiel straffer Organisation einer Freikirche sei auf die Heilsarmee  verwiesen, die eine weltweite Kirche ist und straff nach militärischem Vorbild gegliedert ist. Das Internationale Hauptquartier befindet sich in London und an ihrer Spitze steht der General oder die Generalin, die von den Leitern der nationalen Hauptquartiere gewählt wird. Der General bzw. die Generalin ernennt wiederum die höheren Offiziere und die Kommandanten der nationalen Einheiten. Das nationale Hauptquartier in Deutschland hat seinen Sitz in Köln, die örtlichen Gemeinden werden Korps oder Vorposten (Nebengemeinden) genannt. Die hauptamtlichen Korps-Offiziere, die ordinierte Geistliche sind, werden von Lokaloffizieren (Nichtordinierte) unterstützt.


Bedeutung für die Ökumene

Diese unterschiedlichen Leitungsstrukturen haben in verschiedener Weise Auswirkungen auf das ökumenische Gespräch, da dadurch zum einen die Kirchen in unterschiedlicher Weise in Dialogen repräsentiert und Dialogergebnisse auf unterschiedliche Weise in den Kirchen rezipiert werden. Zu Kontroversen führen andererseits die unterschiedlichen Strukturen, vor allem in der Frage, inwieweit die Leitungsstruktur einer Kirche von Gott vorgegeben ist oder aber dem Handlungsspielraum der Menschen zuzuordnen ist.     

Martin Bräuer 
 

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