Sakramente/Mysterien

Definition

Als Sakrament wird in der Regel ein in Jesus Christus gründendes Zeichen bzw. eine gottes-dienstliche Zeichenhandlung bezeichnet, durch die den Menschen Gottes Heil geschenkt wird. Bei allen Differenzen verbindet nahezu alle Kirchen die Überzeugung, dass Taufe und Abendmahl in diesem Sinne als Sakrament gelten.
Der Begriff „Sakrament“ findet sich nicht in der Bibel. Er stellt die lateinische Übersetzung des griechischen Begriffs mysterion dar, mit dem im Neuen Testament vor allem das in Christus offenbare und allen Menschen geltende Heilsgeheimnis Gottes bezeichnet wird (vgl. 1 Kor 2,7-10; Röm 16,25f.; Eph 1,9f; 3,1-21). Als Mysterien oder sacramenta können darum in der frühen Kirche alle Dinge bezeichnet werden, die mit diesem Heilsgeheimnis zusammenhängen, also auch jene Zeichenhandlungen, in denen es im Gottesdienst gefeiert wird. Dieser Sprachgebrauch findet sich bis heute in den orthodoxen Kirchen. In den evangelischen Freikirchen spricht man eher von Anordnungen (ordinances), um deutlich zu machen, dass diese Zeichenhandlungen im Neuen Testament begründet sind.


Geschichte

Prägend für die weitere Entwicklung der Sakramentenlehre in der Westkirche wurde die Zeichentheorie Augustins (354-430), wonach die Sakramente sichtbare Zeichen der unsichtbaren Wirklichkeit Gottes sind. Klassisch geworden ist seine Bestimmung, dass zu dem natürlichen (schöpfungsmäßigen) Element das Wort hinzukommen muss, um das Sakrament zu schaffen, das darum als „sichtbares Wort“ bezeichnet werden kann. In diesem Sinne kann der Begriff sacramentum zunächst eine Fülle von Zeichen und Riten bezeichnen. Eine ausdrückliche Festlegung auf jene sieben Zeichen (Taufe, Firmung, Eucharistie, Buße, Krankensalbung, Ehe, Weihe), die seitdem für die römisch-katholische Lehre (und ohne eine ausdrückliche dogmatische Festlegung auch weitgehend für die orthodoxen Kirchen) verbindlich sind, erfolgt im 12./13. Jahrhundert und ist etwa bei Thomas von Aquin (1225-1274) eindeutig fassbar. Die ersten lehramtlichen Festlegungen zu diesen sieben Sakramenten sind weitgehend von seinem Denken geprägt (vgl. das Konzil von Florenz 1439).


Verständnis in den verschiedenen Konfessionen

Mit dem Konzil von Trient (1545-1563) erhält die Sakramentenlehre den für die römisch-katholische Lehre wie auch für die aus ihr hervorgegangene altkatholische Kirche verbindlichen Rahmen: Die sieben Sakramente bewirken das, was sie bezeichnen, d.h. Gott schenkt durch sie seine Gnade, wenn sie im Sinne der Kirche gefeiert werden (Intention). Da Gott der Geber der Gnade ist, ist das Sakrament unabhängig von der Haltung des Menschen und d.h. auch in einem unwürdigen Empfänger wirksam (ex opere operato). Damit ist entgegen vielfältigen Missverständnissen keine automatische Heilswirkung der Sakramente gemeint, sondern die Unabhängigkeit des Wirkens Gottes von menschlichen Vorleistungen. Denn das Sakrament wird nur dann, wenn es im Glauben angenommen wird, im Menschen zu seinem Heil fruchtbar.  
Für die orthodoxen Kirchen sind die sogenannten Mysterien eine wirksame Teilhabe des sinnenhaften Abbilds am himmlischen Urbild, d.h. an der Heilsgnade Gottes in Jesus Christus, die in der Kirche als dem Leib Christi durch den Heiligen Geist gefeiert wird. Darum gehört das Gebet um den Geist (Epiklese) wesentlich zu jedem mysterion. Die Festlegung auf die Siebenzahl, die sich unter dem Einfluss der lateinischen Kirche in der orthodoxen Dogmatik des Mittelalters vollzog und auf den (erfolglosen) Unionskonzilen von Lyon (1274) und Florenz (1439) dogmatisch festgehalten wurde, wird von gegenwärtiger orthodoxer Theologie eher abgelehnt, weil sie in einer solchen Fixierung eine unzulässige Einschränkung des biblischen und altkirchlichen Begriffs des mysterions sieht. Die sieben Sakramente der katholischen Kirche werden aber in der Regel unter diese Mysterien gezählt.
Obwohl die reformatorischen Kirchen weitgehend die formalen Kennzeichen eines Sakraments festhalten (ein in der Bibel begründetes sichtbares Zeichen, das Gottes Gnade schenkt), verstehen sie diese in einem engeren Sinne, so dass aufgrund des ausdrücklichen neutestamentlichen Zeugnisses nur Taufe und Abendmahl als Sakramente bezeichnet werden. Zugleich wird die Bedeutung des Verkündigungswortes als Heilsmittel hervorgehoben, das dem Sakrament entweder nebengeordnet (lutherische Tradition) oder übergeordnet ist (reformierte Tradition). Gegenüber dem Wort heben die Sakramente die Leiblichkeit des Menschen, seine Individualität und die kirchliche Bedeutung des Glaubens hervor. Für Martin Luther (1483-1546) ist das Sakrament der Ort, an dem einem Menschen das Heil Gottes zugesagt wird und ihm ein vergewisserndes Zeichen zugeordnet ist. Der Glaube ist dabei notwendige Bedingung seiner Heilswirksamkeit, er macht aber nicht das Sakrament, sondern empfängt es. Demgegenüber betont Philipp Melanchthon (1497-1560) stärker den Charakter der Sakramente als gottesdienstliche Zeichenhandlungen. Der Artikel 7 des Augsburger Bekenntnisses macht zudem die Bedeutung der Sakramente für das Wesen der Kirche deutlich. Der lutherische Sakramentsbegriff kennt eine gewisse Offenheit für die Zahl der Sakramente (vgl. die Aussagen zur Buße und zur Ordination in den Bekenntnisschriften). Ein allgemeiner Sakramentsbegriff wird in der Regel aber nur als nachträglicher Reflexionsbegriff zugelassen. So kann Luther aufgrund des biblischen mysterion-Begriffs Jesus Christus als das eigentliche sacramentum bezeichnen, von dem sich die sakramentalen Zeichen herleiten, ein Anliegen, das auch in der gegenwärtigen römisch-katholischen Theologie breit aufgenommen wird (Jesus Christus als „Ursakrament“). Die reformierte Tradition hat demgegenüber einen klaren Sakramentsbegriff entwickelt, der sowohl die alttestamentlichen wie auch die neutestamentlichen Sakramente als Siegel des Gnadenbundes umfasst. Im Gegensatz zu Huldrych Zwingli (1484-1531), der die Sakramente als rein menschliche Bekenntniszeichen des Glaubens deutete, sind sie für Johannes Calvin (1509-1564) Siegel der Verheißung Gottes, denen das äußere Zeichen als Stärkung des schwachen menschlichen Glaubens gegeben ist. Die Kraft der Sakramente kommt dabei durch den Geist Gottes.
Auch die anglikanischen Kirchen verstehen die Sakramente in erster Linie als wirksame Zeichen der Gnade Gottes, durch die der Glaube gestärkt und bestätigt wird. Aufgrund des neutestamentlichen Zeugnisses gelten Taufe und Abendmahl als Sakramente des Evangeliums und werden darum als Bedingung kirchlicher Einheit verstanden.
In den Freikirchen fallen die Bewertung und das Gewicht der Sakramente unterschiedlich aus. In vielen Freikirchen überwiegt ein reformiertes Verständnis im Sinne Zwinglis. Der Begriff Sakrament wird in der Regel vermieden, da dieser häufig mit der Negativvorstellung verbunden wird, als wirkten die Sakramente das Heil automatisch, d.h. unabhängig vom Glauben. Stattdessen spricht man eher von Anordnungen, um die biblische Grundlage dieser Zeichenhandlungen deutlich zu machen. Betont wird dabei die persönliche Begegnung von Gott und dem glaubenden Menschen. Im Vordergrund stehen in der Regel das Wort und die Antwort des Glaubens (Umkehr) des Menschen, denen gegenüber Taufe und Abendmahl eher zurücktreten bzw. sogar in einzelnen Kirchen (Heilsarmee, Quäker) ganz wegfallen können.
In der Neuapostolischen Kirche und der Apostolischen Gemeinschaft wird neben Taufe und Abendmahl die Versiegelung ebenfalls unter die Sakramente gezählt.


Ökumenischer Dialog

Die Kontroversen der Reformationszeit über die Sakramente sind durch die Erkenntnisse und Entwicklungen der modernen Theologie, vor allem in der Exegese und in der vertieften Sicht auf die Kirche der ersten Jahrhunderte in vielen Punkten hinfällig geworden. Da die Frage der Einsetzung durch Jesus Christus nicht allein durch eine (unhistorische) Berufung auf den biblischen Buchstaben lösbar ist, steht die Theologie der Sakramente insgesamt vor der Herausforderung, die Sakramente biblisch zu begründen. Sie wird in der Regel durch den Gedanken eines „Stiftungszusammenhangs“ (U. Kühn) gelöst, in dem das Tun des irdischen Jesus, die gottesdienstliche Praxis der Urkirche und das Vertrauen auf das Wirken des Geistes in seiner Kirche zusammengehören. Die römisch-katholische Bewertung der Taufe und der Eucharistie als die beiden Hauptsakramente sowie das gewachsene Verständnis dafür, dass jedes Sakrament seine eigene Gestalt hat und der Sakramentsbegriff darum nur nach entsprechender Anpassung verwendet werden kann (vgl. etwa die Unterschiede zwischen Taufe und Ehe), machen weitere Annäherungen möglich. Ein Weg zur Verständigung über die Sakramente besteht darin, dass man Begriff und Sache trennt. So lassen sich vor allem bei der Ehe und der Ordination große Übereinstimmungen im sachlichen Verständnis und in der gottesdienstlichen Praxis feststellen, auch wenn sie nicht übereinstimmend als Sakramente bezeichnet werden. Offen bleibt aber noch, inwieweit die neben Taufe und Abendmahl von der römisch-katholischen Kirche als Sakramente bezeichneten Handlungen wesensmäßig zur Kirche gehören und damit auch Bedingung kirchlicher Einheit sind. Da die Gnade des Sakraments auch von römisch-katholischer Seite nicht mehr sachhaft verstanden wird, sondern als die heilschaffende Liebe und Nähe Gottes in Christus zu den Menschen, die Feier von Taufe und Abendmahl aber unterschiedliche Weisen dieser heilswirksamen Begegnung mit Gott in der Gemeinschaft der Kirche darstellen, kann auch die Frage nach einer speziellen Sakramentsgnade gelöst werden, ohne den personalen Charakter der Gnade aufzugeben. Das verstärkte Nachdenken über den biblischen Begriff des Segens bietet ebenfalls viele ökumenische Verständigungsmöglichkeiten, die noch weiter erschlossen werden müssen. Vor allem angeregt durch das ökumenische Gespräch über die Taufe gibt es innerhalb des breiten Spektrums der Freikirchen ein theologisches Nachdenken darüber, inwieweit die Sakramente bzw. Anordnungen mehr sind als rein menschliche Bekenntniszeichen, sondern in ihnen Gott am glaubenden Menschen handelt.

Burkhard Neumann


Literatur

Das Wort Gottes im Leben der Kirche. Bericht über die internationalen Gespräche zwischen der Katholischen Kirche und dem Baptistischen Weltbund, 2006-2010, in: Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene, Bd. 5: 2011-2019, hg. von Johannes Oeldemann u.a., Paderborn/Leipzig 2021, 484-490 (Nr. 72-92).
Die Sakramente (Mysterien) der Kirche und die Gemeinschaft der Heiligen. Dokumente der Gemeinsamen Kommission der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2006 (ADBK 203).
Faber, Eva-Maria: Einführung in die katholische Sakramentenlehre, Darmstadt 32012.
Kappes, Michael: Sakramente im Spiegel der Konfessionen, in: M. Kappes u.a. (Hg.), Basiswissen Ökumene. Bd. 1: Ökumenische Entwicklungen – Brennpunkte – Praxis, Paderborn/Leipzig 2017, 125-146; Bd. 2: Arbeitsbuch mit Materialien, Paderborn/Leipzig 2019, 163-189.
Neumann, Burkhard: Sakrament und Ökumene. Studien zur deutschsprachigen evangelischen Sakramententheologie der Gegenwart, Paderborn 1997 (KKTS 64).

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