Altkatholiken

Situation in der Gegenwart

Die altkatholischen Kirchen bilden eine Gemeinschaft meist eigenständiger Kirchen, die seit 1889 in der Utrechter Union organisiert sind. Hierzu gehören die Altkatholische Kirche der Niederlande mit dem Bistum Haarlem und dem Erzbistum Utrecht, das Katholische Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland, die Christkatholische Kirche der Schweiz, die Altkatholische Kirche Österreichs, die Altkatholische Kirche in der Tschechischen Republik und die Polnisch Katholische Kirche. Jede dieser Ortskirchen ist selbstständig. Ihre Bischöfe versammeln sich in regelmäßigen Abständen unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Utrecht zur Internationalen Altkatholischen Bischofskonferenz (IBK). Zur Utrechter Union gehören auch einige sehr kleine unselbstständige Kirchen und Gemeinden, die unter der Jurisdiktion der IBK stehen (z.B. in Kroatien, der Slowakei oder die frankophone Mission Vieille Catholique Francophone). Der geographische Schwerpunkt der altkatholischen Kirchen liegt – seit dem Ausscheiden der Polnisch-Katholischen Nationalkirche in den USA und in Kanada aus der Utrechter Union (2003) aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zum Thema Frauenordination – im kontinentalen Europa. Die genaue Anzahl der Altkatholiken ist schwer zu erfassen aufgrund unterschiedlicher Meldewesen in den verschiedenen Ländern, aber man kann von etwa 60.000 Gläubigen ausgehen. 


Geschichte

Die altkatholische Kirche beruft sich auf die Tradition der Alten Kirche. Sie achtet die sieben ökumenischen Konzile und die altkirchlichen Bekenntnisse. Der Name „altkatholisch“ verweist auf die „alte Lehre“ der einen, katholischen und apostolischen Kirche der ersten Jahrhunderte. An dieser Lehre halten die Altkatholiken fest, während die römisch-katholische Kirche Papst- und Mariendogmen einführte, die aus der Sicht der Altkatholiken Neuerungen darstellen, die nicht durch Schrift und Tradition gestützt sind. Zur formalen Unabhängigkeit von der Römisch-Katholischen Kirche führten Konflikte im Zuge des Ersten Vatikanischen Konzils: Schon vor dem Konzil nahm Ignaz von Döllinger gegen das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes (Infallibilitas Papae) und den Jurisdiktionsprimat Stellung. Nach deren Dogmatisierung in der Dogmatischen Konstitution Pastor Aeternus (1870) des Ersten Vatikanischen Konzils – ein Versuch, den Ultramontanismus zu stärken und die Kirche zu zentralisieren – regte sich Protest, der auf Kongressen in München (1871), Köln (1872) und Konstanz (1873) Gestalt annahm. Auch wenn eine Trennung von Rom nicht von allen anvisiert und auch von v. Döllinger nicht befürwortet wurde, wurde eine solche immer realer: Da die Entstehung des Altkatholizismus im Wesentlichen eine Laienbewegung war, war der Bedarf an Geistlichen groß. Bereits 1873 wurde daher mit dem Breslauer Professor Hubert Joseph Reinkens ein erster altkatholischer Bischof geweiht, womit die Versorgung mit eigenen Geistlichen ermöglicht wurde,  jedoch formell auch eine Trennung von der Römisch-Katholischen Kirche erreicht war. Da das Erzbistum Utrecht aufgrund von Streitigkeiten um das Bischofswahlrecht schon seit 1723 unabhängig von Rom war, weihten Utrechter Bischöfe die neuen altkatholischen Bischöfe, um die apostolische Sukzession zu wahren. Die altkatholischen Kirchen in Amerika und Osteuropa entstanden hingegen Anfang des 20. Jahrhunderts als nationalkirchliche Bewegungen. Sie führen somit deutlich die Relevanz einer ortskirchlichen Autonomie im Altkatholizismus vor Augen. 


Glaubensinhalte

Die altkatholische Kirche verfügt über keine eigenen Bekenntnisschriften, sondern beruft sich ganz auf den Glauben und die Ordnungen der Alten und einen Kirche, deren Mitte und Haupt Jesus Christus ist. Sie kennt, wie die Römisch-Katholische Kirche, sieben Sakramente und das dreigliedrige Amt mit Bischöfen, Priestern und Diakonen. Die Kirche ist bischöflich-synodal verfasst und beansprucht, durch Wort und Sakrament, Lehre und Weitergabe des Amtes durch Handauflegung in der apostolischen Sukzession zu stehen. Die altkatholische Kirche erkennt die Mariendogmen von 1854 (Unbefleckte Empfängnis; Immaculata Conceptio) und 1950 (Mariä Aufnahme in den Himmel; Assumptio Mariae) nicht an, wodurch sie sich – neben den genannten Papstdogmen – von der römisch-katholischen Kirche unterscheidet. Aus ihrer Berufung auf die konziliare und synodal geprägte Verfassung der Alten Kirche resultiert zugleich eine große Reformbereitschaft und Offenheit: So beruht seit 1878 der Zölibat auf freiwilliger Basis. Ferner werden in der altkatholischen Kirche, wenn auch nach kontroversen Diskussionen, Frauen ordiniert. Die Leitung der Kirche liegt in der altkatholischen Kirche nicht allein in der Hand der Bischöfinnen und Bischöfe: Bistümer und Gemeinden sind bischöflich-synodal strukturiert, die Beteiligung von Laien an kirchlichen Leitungsaufgaben ist nicht nur erwünscht, sondern sogar erfordert. Im Altkatholizismus vereint sich die große Bedeutung der Ortskirche mit der internationalen Vernetzung und Zusammenarbeit: Jährlich kommt die Internationale Altkatholische Theologenkonferenz zusammen, alle vier Jahre die Internationalen Altkatholikenkongresse sowie im ebenfalls jährlichen Turnus das Internationale Altkatholische Forum, das im Wesentlichen von Laien getragen wird.

Indem sich die altkatholische Kirche zur Fehlbarkeit der Kirche und ihrer Mitglieder bekennt, erkennt sie an, dass jeder Einzelne wie die Kirche reformbedürftig und auf Vergebung angewiesen ist. Der Altkatholizismus zeigt sich daher offen für Veränderungen im kirchlichen Leben sowie für aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und die Revision von Grundsätzen. Die Einbindung in die „Welt“ ist hierbei grundlegend. Die altkatholische Kirche verbindet somit ihre Verankerung in der christlichen Tradition mit einer Weltoffenheit und einer liberalen wie modernen Ausrichtung. So kommt im Altkatholizismus eine große Nähe zur Orthodoxie (z.B. Wertschätzung der Kirchenväter; ostkirchliche Trinitätstheologie) mit einem aufgeklärten, liberalen und westkirchlich geprägten Denken zusammen.


Kirchliches Leben

Der sonntägliche Gottesdienst und die meist wöchentliche Feier der Eucharistie bilden die Mitte des geistlichen Lebens. Hierbei pflegen die altkatholischen Kirchen eher traditionelle Formen und orientieren sich an der Liturgie, die über viele Jahrhunderte gewachsen ist und sie zu großen Teilen mit vielen anderen Kirchen verbindet. Schon früh feierten die Altkatholiken ihre Gottesdienste in der jeweiligen Landessprache, um eine Verständlichkeit für alle zu ermöglichen. Auch die Feier von Tagzeitengebeten, oftmals die Laudes, die Vesper und die Komplet oder eine altkirchliche Lichtvesper, sind Teil der altkatholischen Spiritualität und werden in einigen Gemeinden angeboten. Je nach Gemeindesituation und nach Anlass kennt die altkatholische Kirche eine große Vielfalt an weiteren gottesdienstlichen Formen. Auch diakonische Aufgaben gehören zum altkatholischen Selbstverständnis. Dies konkretisiert sich vor allem in der Seelsorge und der Lebensbegleitung von alten und erkrankten Menschen. 


Ethik

Die altkatholische Kirche legt Wert darauf, die heutige Lebensrealität vieler Menschen anzuerkennen und sich nicht vor gesellschaftlichen Entwicklungen zu verschließen. Geschiedene und Wiederverheiratete werden nicht vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen und es besteht, obgleich die Ehe als ein Sakrament verstanden wird, die Möglichkeit der kirchlichen Wiederheirat Geschiedener. Grundlage hierfür ist die Anerkennung der Fehlbarkeit und Vergebungsbedürftigkeit der Kirche und ihrer Mitglieder. Ferner erleben gleichgeschlechtlich lebende Paare in der altkatholischen Kirche eine große Toleranz und Akzeptanz. Folglich praktizieren viele altkatholische Gemeinden seit vielen Jahren die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. 2003 beschloss die deutsche Bistumssynode, Segensriten aus den Gemeinden zu sammeln und verfügbar zu machen. Eine feste liturgische Form bekam die Praxis der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare dann durch die Inkraftsetzung eines Rituale im Jahr 2014. 


Ökumene

Ökumene ist der altkatholischen Kirche von Beginn an ein wichtiges Anliegen: Ignaz von Döllinger verantwortete gleich in den ersten Jahren nach der Gründung gemeinsam mit altkatholischen, orthodoxen, protestantischen (evangelischen) und anglikanischen Theologen Unionskonferenzen in Bonn (1874 und 1875). Da zu den anglikanischen Kirchen, auch aufgrund der Verortung auf einer via media zwischen Katholizismus und Protestantismus, eine besondere Nähe besteht, wurden von Anfang an intensive Gespräche zu ökumenischen Fragen geführt. Seit 1883 sind Anglikaner zur Kommunion bei altkatholischen Eucharistiefeiern zugelassen. Weitere Dialoge führten 1925 zu einer Anerkennung der anglikanischen Weihen durch die Kirche von Utrecht und die IBK und zum weitreichenden Bonn Agreement (Bonner Abkommen; 1931), in dem eine volle Kirchengemeinschaft mit der Anglican Communion erreicht wurde. Theologische Grundlage ist u.a. die gemeinsame Anerkennung der vier Grundsätze des Lambeth-Quadrilateral. Von 1958 bis 1988 zählten die altkatholischen Kirchen zur sogenannten "Wider Episcopal Fellowship“, die dann 1888 in die Lambeth-Konferenz integriert wurde, 

Kirchengemeinschaft besteht auch mit anderen Kirchen, die den Wert der Tradition schätzen und das bischöfliche Amt als sichtbares Zeichen der Einheit gewahrt haben wie die Unabhängige Philippinische Kirche (Iglesia Filipina Independiente), die Lusitanische Kirche von Portugal (Igreja Lusitana) und die Spanische Reformierte Bischöfliche Kirche (Iglesia Española Reformada Episcopal). 2016 vereinbarten die Evangelisch-Lutherische Kirche von Schweden und die Alt-Katholischen Kirchen der Utrechter Union eine Kirchengemeinschaft. Da die altkatholische Kirche betont, dass nicht der Priester, die Priesterin oder die Kirche zum Tisch des Herrn einlädt, sondern Christus selbst, praktiziert sie eine eucharistische Gastfreundschaft für alle, die glauben, dass Jesus in den Gaben von Brot und Wein gegenwärtig ist. Bereits 1985 haben die altkatholischen Gemeinden daher eine eucharistische Gastfreundschaft mit den Gliedkirchen der EKD vereinbart. Es liefen und laufen ferner etliche bilaterale Dialoggespräche. Die Gespräche mit der indischen Mar-Thoma-Kirche haben zur Kirchengemeinschaft geführt. Dei Gespräche mit den Kirchen der Orthodoxie haben im Rahmen der Orthodox-Altkatholischen Theologischen Kommission zu nicht weniger als 26 Konsenstexten geführt. Der 1973 begonnene Dialog mit der gemischten orthodoxen Kommission wurde jedoch 1987 abgeschlossen. Derzeit existiert eine orthodox-altkatholische „Kontaktgruppe“; Konfliktthemen wie Frauenordination, die eucharistische Gastfreundschaft mit der EKD oder der Umgang mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften belasten diesen Dialog. Die altkatholischen Reflexionen zum Papst als „primus inter pares“ verbesserten die Beziehungen zur Römisch-Katholischen Kirche: 2004 nahm die Internationale Römisch-Katholisch – Altkatholische Dialogkommission (IRAD) ihre Arbeit auf, die in zwei Dialogergebnisse mündete: „Kirche und Kirchengemeinschaft“ I (2009) und II (2016). Inwiefern die Arbeit fortgesetzt wird, ist noch unklar. Auch im multilateralen ökumenischen Gespräch sind altkatholische Kirchen seit jeher engagiert: Das Katholische Bistum der Altkatholiken in Deutschland ist Gründungsmitglied der „Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland“ (ACK) und des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Bezugspunkt des altkatholischen ökumenischen Engagements ist die eine Kirche der ersten Jahrhunderte.

Hanne Lamparter

gegengelesen von Andreas Krebs


Literatur

  • Eßer, Günter: Die Alt-Katholischen Kirchen (Bensheimer Hefte), Göttingen 2016. 
  • Flügel, Christian: Die Utrechter Union und die Geschichte ihrer Kirchen, Norderstedt 2006. 
  • Küry, Urs: Die Altkatholische Kirche – ihre Geschichte, ihre Lehre, ihr Anliegen, Frankfurt am Main 1982.
  • Suter, Adrian: Altkatholische Kirchen, in: Johannes Oeldemann (Hg.), Konfessionskunde, Leipzig/Paderborn 2015, 247–275.

 


Internetquellen

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