Rolle von Frauen und Wandel der Geschlechterrollen in den christlichen Kirchen
Wandel der Geschlechterrollen in den christlichen Kirchen
In den christlichen Kirchen hat im 20. Jahrhundert im Zuge der Frauenbewegungen im säkularen Kontext ein immenser Wandel der Geschlechterrollen eingesetzt. Im Kontext der ökumenischen Bewegung am Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts wird innerhalb des Protestantismus die „Frauenfrage“ gestellt, im Zuge der Entstehung eines Laienkatholizismus im 19. Jahrhundert werden Frauenverbände gegründet, die sich der Forderung nach Gleichberechtigung der Frauen in Politik und Gesellschaft anschließen und die Zuschreibung von „Bildern des Weiblichen“ aufbrechen. Die sog. „Frauenfrage“ wird aber auch zu einer innerkirchlichen Herausforderung. In den protestantischen Kirchen nehmen Frauen seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein Theologiestudium auf und qualifizieren sich für unterschiedliche pastorale Aufgaben, und die Frage nach dem Pfarramt für Frauen wird virulent. Im Katholischen Deutschen Frauenbund (damals: Katholischer Frauenbund) wird die Frage nach einem Frauendiakonat gestellt, es werden Seelsorgehelferinnen ausgebildet und Frauen nehmen im kirchlichen Kontext (sozial)pädagogische Aufgaben wahr.
Die mit der sog. 2. Frauenbewegung in den 1960er Jahren verbundene Frage nach Geschlechtergerechtigkeit in einer menschenrechtlichen Perspektive und die Entwicklung feministisch-kritischer und gender-theoretischer wissenschaftlicher Ansätze, die auch in der Theologie rezipiert werden, tragen zu einer Fokussierung der innerkirchlichen Debatten auf die Ämterfrage bei und führen in den anglikanischen, altkatholischen und protestantischen Kirchen zu einer Öffnung des Pfarr- und später Bischofsamtes für Frauen, ein Weg, der am Beginn des 21. Jahrhunderts gerade in ökumenischer Perspektive eine zentrale Herausforderung für die katholische Kirche wie auch für die orthodoxen und konservative protestantische Kirchen weltweit darstellt.
Frauen in den biblisch-christlichen Traditionen
Die neuen Rollenbilder und Fragen nach einer gleichberechtigen Partizipation von Frauen und Männern in der Kirche stehen im Zusammenhang der säkularen Frauenbewegung, aber sie gründen in der geistlichen Dynamik einer modernen Sicht auf die biblische und theologische Tradition des christlichen Glaubens, und genau diese bilden den gemeinsamen Grund ökumenischer Bestrebungen im Blick auf die „Frauenfrage“ in den christlichen Kirchen. Die neutestamentlichen Texte erinnern daran, wie Gott in Jesus von Nazareth seine Heilszusage für die Menschheit und Schöpfung bekräftigt, wie Leben, Sterben und Auferstehung Jesu Christi zum Gründungsereignis der Gemeinschaft der Christen und Christinnen werden. Die Texte sind im Zusammenhang der Ausbildung der ersten christlichen Versammlungen, der „Ekklesia“, entstanden. Hier wirkten Männer und Frauen partnerschaftlich miteinander, sie teilten alles, verkündeten das Evangelium und sorgten für die Armen und Not Leidenden (Apg 2,43-47). Es bilden sich unterschiedliche Dienste aus; in den Pastoralbriefen ist von den Aufgaben die Rede, die Witwen und Jungfrauen in den Gemeinden übernommen haben (1 Tim 5,9-12), und auch von den Ehefrauen der Diakone (1 Tim 3,11). Paulus fügt im Schlusskapitel seines Briefes an die Römer ein Empfehlungsschreiben an, das an Phöbe gerichtet ist, „unsere Schwester“, „die auch Diakonin der Gemeinde von Kenchreä ist“ (Röm 16,1); „denn für viele war sie ein Beistand, auch für mich selbst“ (Röm 16,2).
In den missionarischen Kontexten der Gemeinden, die von Paulus und seinen Begleitern und Begleiterinnen gegründet werden, steht die Verkündigung des Evangeliums an erster Stelle, auch Frauen ist dieser Dienst anvertraut. Am Ende des Römerbriefs spricht Paulus vom Ehepaar Andronikus und Junia, „die zu meinem Volk gehören und mit mir zusammen im Gefängnis waren; sie ragen heraus unter den Aposteln und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt“ (Röm 16,7). (Erst 2016/17 wurde entdeckt, dass der Name ‚Junia‘ fälschlicherweise in der männlichen Form tradiert worden war.) Die Thekla-Akten, ein Text aus dem 2. Jahrhundert, stellen Thekla vor Augen, die als Apostelin Paulus begleitet hat. Frauen haben den Aposteln ihre Häuser geöffnet, so die Purpurhändlerin Lydia in Philippi (Apg 16,14-15; 40), in deren Haus die Verbreitung des Evangeliums nach Europa ihren Ausgang nimmt. Die Hausgemeinschaften, denen Frauen vorstanden und in denen sie vielleicht auch Leitungspositionen innehatten, haben besondere Bedeutung in der frühchristlichen Mission. Die Apostelgeschichte nennt weitere Frauen mit Namen, so Saphira, die Frau des Hananias (5,1-11), Tabita (9,36), Damaris aus Athen (17,34), Priszilla, die Frau des Aquila (18,2.18.26), die Jüdin Drusilla, die Frau des Prokurators Felix (24,24) und Berenike, die Frau des Königs Agrippa (25,13.23.30). Mehrfach erwähnt wird das Haus der Maria, der Mutter des Johannes, mit dem Beinamen Markus (12,12), das in Jerusalem ein wichtiger Versammlungsort der Gemeinde war.
Diese Texte zeugen von einem partnerschaftlichen Rollenverständnis von Männern und Frauen, dem gemeinsamen Dienst an der Verkündigung der befreienden Botschaft Jesu, einer Geschlechtergerechtigkeit, wie sie Paulus im Galaterbrief zum Ausdruck gebracht hat, wenn er schreibt, dass es in Christus weder Juden noch Griechen, weder Sklaven noch Freie, weder Mann noch Frau gibt, „denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Auch der 1. Petrusbrief vermittelt diese befreiende Sicht, wenn davon gesprochen wird, dass alle, die zur Gemeinde gehören, eine „königliche Priesterschaft“ (1 Petr 2,9) sind und alle mit der Taufe die königliche, priesterliche und prophetische Würde von Jesus Christus erhalten.
Auf diesem biblischen Grund ist auch ein Diakoninnenamt für Frauen bezeugt; die im Jahr 220 vorgelegte syrische Kirchenordnung der „Didascalia apostolorum“ spricht von einem solchen Amt, das zuständig ist für die Betreuung von Frauen in der Gemeinde, für Krankendienste, für die Taufkatechese und die Taufsalbung von Frauen. Im 4. Jahrhundert wird auf dem Konzil von Nizäa (325) zum ersten Mal der Titel „Diakonin“ erwähnt, im 5. Jahrhundert bezeugt das Konzil von Chalzedon (451), dass es eine Ordination von Frauen gegeben hat; es legt als Mindestalter der Diakoninnen 40 Jahre fest, es werden Bestimmungen zur Ehe und Heirat der Diakoninnen gegeben, und es ist von einer Weihe mit Handauflegung und Gebet die Rede. Bis in das 12. Jahrhundert ist die Weihe von Frauen in der westlichen Tradition nachweisbar; in der Ostkirche sind Spuren der Weihe von Frauen noch länger zu finden. An den großen Kathedralkirchen in der Antike wie in Konstantinopel wirkten neben vielen Diakonen auch einige Diakoninnen. Für die Rolle von Frauen in der westlichen Tradition war die Gründung von Klöstern von Bedeutung, als Orte einer Emanzipation und Bildung von Frauen. Äbtissinnen empfangen eine spezifische Weihe, die ihnen im Kloster geistliche Vollmacht und Jurisdiktionsvollmacht für den zum Kloster gehörigen Besitz verleiht.
Geistliche Autorinnen und Ordensgründerinnen wie Angela Merici, Mary Ward, aber auch Frauen der Reformation haben bedeutende Rollen in Gesellschaft und Kirche gespielt, sie waren Beraterinnen, Erzieherinnen, geistliche Begleiterinnen, aber ihr Beitrag blieb oft „unsichtbar“, bzw. wurde unsichtbar gemacht. Das ändert sich erst im 19. Jahrhundert im Zusammenhang von Aufklärung, neuen demokratischen und sozialen Bewegungen, weitergehender Mädchen- und Frauenbildung, Frauenstudien und dem Ergreifen verschiedener Berufe, zunächst vor allem in Erziehung und Pflege. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts öffnete sich der religionspädagogische, katechetische und immer mehr auch theologische Bereich für Frauen und trägt zu einem Wandel der Geschlechterrollen in der Kirche bei.
Die Frage nach der Ordination von Frauen in den verschiedenen christlichen Konfessionen
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts nahmen Frauen ein Studium der evangelischen Theologie auf, 1907 wurde Carola Barth (1879-1959) als erste Theologin promoviert; die badische Landeskirche ließ Elsbeth Oberbeck (1871-1944) als erste 1915 zu den landeskirchlichen Prüfungen zu; einzelne Landeskirchen erließen Gesetze zur Regelung des Dienstes von Frauen in den Gemeinden; in der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union war seit 1928 die Einsegnung von Frauen möglich zum Dienst an Frauen, Mädchen und Kindern. Die Vikarinnen, so ihr Titel, konnten aber nicht Gemeindegottesdienste abhalten, bei Verheiratung schieden sie aus dem Kirchendienst aus. Theologinnen waren bis in die 1950er Jahre nur als Pfarrgehilfinnen, Gemeindehelferinnen, Pfarrkandidatinnen, Diakonissen, Gehilfinnen, Lehrerinnen und Vikarinnen tätig, sie übten in diesem Sinn ein Amt „sui generis“, ein spezielles Frauenamt aus. Der Pfarrermangel im Krieg und der Nachkriegszeit und ein gesellschaftlicher Rollenwandel führten dazu, dass Vikarinnen der Evangelischen Kirche der Union ab 1952 ordiniert werden konnten. Nach und nach zogen andere Landeskirchen nach. 1992 wurde Maria Jepsen zur ersten lutherischen Bischöfin weltweit für den Sprengel Hamburg der Nordelbischen Kirche gewählt.
Seit 1968 wurden Frauen in den reformierten Kirchen in Deutschland ordiniert, die erste Frau wurde 1970 Gemeindepfarrerin. In den anglikanischen Kirchen wurden seit den 1960er Jahren Debatten zur Frauenordination geführt, 1994 wurde die erste Frau zur Priesterin in der anglikanischen Kirche geweiht. In den 1950er Jahren werden die ersten katholischen Theologinnen promoviert, die Habilitation wird erst durch das Zweite Vatikanische Konzil möglich. Katholische Theologinnen wie Ida Raming und Josefa Theresia Münch formulierten Eingaben zur Priesterweihe von Frauen an das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65), die Konzilsauditorin Sr. Mary Luke Tobin schloss sich der „Women´s Ordination Conference“ (gegründet 1975) an; die Würzburger Synode (1971-1975) sandte ein bislang unbeantwortetes Votum zum Frauendiakonat nach Rom. Auf diese Dynamik reagierte die Glaubenskongregation mit der Stellungnahme „Inter Insigniores“ (1976) zur Frage der Zulassung der Frauen zum Priesteramt, eine Position, die im Schreiben von Papst Johannes Paul II. „Ordinatio Sacerdotalis“ (1994) über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe bekräftigt worden ist.
In den meisten altkatholischen Kirchen ist seit den 1980er Jahren für Frauen der Zugang zum Diakonat geöffnet, 1987 empfing die erste Frau die Diakoninnenweihe; in der Debatte um die Priesterweihe von Frauen wurde festgestellt, dass es keine zwingenden dogmatisch-theologischen Gründe gebe, Frauen nicht zum priesterlichen Dienst zu weihen. In den westeuropäischen altkatholischen Kirchen können Frauen seit 1996 die Priesterweihe empfangen; bis heute gibt es in anderen altkatholischen Kirchen – so in Polen oder Tschechien – aber weder Diakoninnen noch Priesterinnen.
Für die Auseinandersetzung mit der Tradition des altkirchlichen Diakonats waren die Studien des orthodoxen Theologen Evangelos Theodorou (geb. 1921) von großer Bedeutung, weit über die orthodoxen Kirchen hinaus. Die bis in die frühe Moderne praktizierte Weihe von Frauen als Diakoninnen wird in einigen orthodoxen Kirchen wieder aufgegriffen: im Jahr 2016/17 wurden in den Patriarchaten von Alexandrien und Jerusalem Frauen geweiht für pastorale und diakonische Aufgaben und den Dienst in der Mission; eine armenische Christin wurde 2017 in Teheran zur Diakonin geweiht. Ebenso knüpfen Migrantengemeinden an diese Praxis an, 2012 werden drei Frauen der chaldäischen (mit Rom unierten) Kirche in Stuttgart zu Subdiakoninnen geweiht. Papst Franziskus hatte 2016 eine Kommission zum Frauendiakonat eingesetzt und 2020 wieder neu berufen, und es steht eine Klärung an, ob der Frauendiakonat mit einer sakramentalen Weihe verbunden ist und damit Teil des dreistufigen Amtes ist, oder ob es sich um eine bloße Einsegnung handelt. In der deutschen Ortskirche bringen die katholischen Frauenverbände und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken diese Frage in den synodalen Weg ein (2019-2022).
Ökumenische Konvergenzen und Differenzen
In den ökumenischen Beziehungen spielte und spielt die Frage des weiblichen Priesteramtes in manchen Zusammenhängen eine entscheidende Rolle. So wurden z.B. die bilateralen Gespräche zwischen der Orthodoxen Kirche und der anglikanischen Gemeinschaft bzw. der Altkatholischen Kirche deutlich erschwert, als die Utrechter Union und dann die Kirche von England die Ordination von Frauen zum Priester- bzw. Bischofsamt einführten. Es gab aber auch Irritationen innerhalb des Lutherischen Weltbundes, als die Lutherische Kirche von Lettland die bereits eingeführte Frauenordination wieder aufhob.
Die wichtigsten theologischen Argumente, die von Gegnern der Frauenordination ins Feld geführt werden, beziehen sich vor allem auf die Funktion des Priesters als Repräsentant oder ‚Ikone‘ Christi, auf die Tradition der Kirche sowie auf die Tatsache, dass Jesus nur Männer zu Aposteln berufen habe. Von wissenschaftlich-theologischer Seite wurden diese Argumente inzwischen entkräftet, so dass z.B. in orthodoxen Kreisen diese Frage inzwischen als offene Frage bezeichnet wird, die dem Wirken des Heiligen Geistes anheimgestellt werden sollte. Auf römisch-katholischer Seite wird weiterhin um die Verbindlichkeit von „Ordinatio sacerdotalis“ gerungen, Frauen werden in nicht-sakramentale Leitungsämter berufen, die Debatte um die Einrichtung eines Diakoninnenamtes hat aber den Spielraum für die Auseinandersetzung mit Weiheämtern für Frauen geöffnet.
Margit Eckholt
Literatur
- Angela Berlis, Frauenordination – ökumenische Konflikte und ihre Bewältigung – am Beispiel der Alt-Katholischen Kirche, in: Ökumenische Rundschau 55 (2006) 16-25
- Margit Eckholt/Ulrike Link-Wieczorek/Dorothea Sattler/Andrea Strübind (Hg.), Frauen in kirchlichen Ämtern. Reformbewegungen in der Ökumene, Freiburg/Göttingen (Herder/Vandenhoeck) 2018,
- darin: „Osnabrücker Thesen“, 465-476
- Cornelia Schlarb, Frauenordination weltweit. Zu Gleichstellung der Frau im geistlichen Amt, in: Deutsches Pfarrerblatt 117 (2017), Heft 2, 64-69
- Wilfried Härle, Von Christus beauftragt. Ein biblisches Plädoyer für Ordination und Priesterweihe für Frauen, Leipzig/Paderborn (Evangelische Verlagsanstalt/Bonifatius) 2017
- Dorothea Reininger, Diakonat der Frau in der Einen Kirche. Diskussionen, Entscheidungen und pastoral-praktische Erfahrungen in der christlichen Ökumene und ihr Beitrag zur römisch-katholischen Diskussion, Ostfildern (Grünewald) 1999
- Evangelos Theodorou, Die Weihe (Cheirotonia) oder Segnung (Cheirothesia) der Diakonissen, in: Anne Jensen/Grigorious Larentzakis (Hg.), Diakonat und Diakonie in frühchristlicher und ostkirchlicher Tradition, Graz 2008, 36-128