Schöpfung
Bedeutung und Begriffsdefinition
Das Bekenntnis zu Gott, dem Schöpfer, steht am Anfang der großen Glaubensbekenntnisse (Nizäno-Konstantinopolitanum, Apostolikum). Wir glauben an Gott, der alles geschaffen hat. Dieses Bekenntnis vereint alle Christen. Die Bibel beginnt mit zwei Schöpfungsberichten und ist von Aussagen über Gott, den Schöpfer und die Schöpfung durchzogen.
Der Begriff „Schöpfung“ ist ein Entschlüsselungscode, der als Kosmologie Chaos, Leben, Natur und Kosmos erklärt. Er beschreibt die Überzeugung, dass sich unsere Welt mit ihren Licht- und Schattenseiten, ja der ganze Kosmos dem Handeln Gottes verdankt, seinem einzigartigen „Schaffen“. Sie ist sein Werk. Die Welt trägt „das Geheimnis ihres Geschaffenseins“ (E. Jüngel) in sich. Genauer versteht man unter „Schöpfung“ eine Ereignisfolge, die den Anfang der Geschichte von Welt und Menschheit markiert, deren Entstehung beschreibt, die teils durch Gottes Schaffen, teils durch Selbstentfaltung (z.B. der Natur) geschieht. Das Dasein der Welt ist kontingent (sie könnte auch nicht sein) und verdankt sich dem Schaffen und Erneuern eines unverfügbar Anderen. Dabei wird das Schaffen am Anfang (prima creatio) von dem fortwährenden, andauernden Schaffen Gottes (creatio continua) unterschieden. Letzteres kann man auch als Gottes fürsorgliches Begleiten der Welt verstehen. Gottes Gegenwart in der Welt bewahrt den Menschen „vor der Überwältigung durch das Nichtige“ (K. Barth).
Theologische Grundlegung
Christlicher Schöpfungsglaube hat seine Wurzeln in menschlichen Grunderfahrungen (z.B. dem Verdankt-sein) in der geschichtlichen Gotteserfahrung Israels (wie es uns im Alten Testament berichtet wird) und wird im Neuen Testament vorausgesetzt und weiter entfaltet. Den Glauben an Gott den Schöpfer und die damit verbundene Geschöpflichkeit des Menschen teilen das Alte und Neue Testament, das Judentum und das Christentum. Im AT hat die Schöpfung bzw. Schöpfungstheologie eine fundamentale Bedeutung. Christlicher Schöpfungsglaube besagt, dass Welt und Mensch in einem unverlierbaren Lebenszusammenhang mit Gott stehen, dem Schöpfer. Gott und Schöpfung sind eng aufeinander bezogen, aber zu unterscheiden. Bis heute ist Gott in seiner Schöpfung am Werk. Er „erneuert das Angesicht der Erde“ (Ps 104,30). Hildegard von Bingen spricht von der „Grünkraft“. Dies führt zu der Feststellung: „Ohne ihn, ohne das ihr ständig zugesprochene Ja Gottes: ‚Es ist gut, dass es dich, Schöpfung, gibt!‘, wären die Welt und alle einzelnen Geschöpfe buchstäblich ‚grund-los‘, könnten sie nicht bestehen (wie kein Leben ohne Licht und Wasser, keine Person ohne Liebe existieren kann)“ (Medard Kehl). Der Gedanke der Schöpfung beinhaltet auch die Vorstellung einer Neuschöpfung oder erneuerten Schöpfung am Ende der Zeiten. Die christliche Bibel hat so etwas wie einen schöpfungstheologischen Rahmen (Gen 1-3 und Offb 21-22), der die Gedanken von Schöpfung und Erlösung zusammenbindet.
Schöpfung und Ökumene
Der Konziliare Prozess
Der „Konziliare Prozess“ bezeichnet die Beschäftigung der christlichen Kirchen mit den Themen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Seinen Anfang nahm dieser Prozess in der VI. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Vancouver (Kanada) im Jahr 1983. Dies hatte und hat zur Folge, dass die Verantwortung für die Schöpfung vermehrt wahrgenommen wird verbunden mit der Aufgabe, unseren Teil zur Bewahrung der Schöpfung beizutragen. Aus dem Prozess erwächst folglich auch ein wachsendes Engagement vieler Kirchen für die Schöpfung. Zunehmend wird das Thema Schöpfung auch in den Konfessionsfamilien wichtig, die traditionell eher eine Jesusfrömmigkeit betonen (z.B. einige der Freikirchen).
Ökumenischer Tag der Schöpfung
Seit 2010 feiert die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland den Ökumenischen Tag der Schöpfung bzw. die Schöpfungszeit. Unter Aufnahme eines Impulses aus der Orthodoxie entstand in den Kirchen der Wunsch, „einen ökumenischen Tag des Gebetes für die Bewahrung der Schöpfung in den europäischen Kirchen einzuführen“ (Charta Oecuemenica). Die ACK in Deutschland nahm diesen Gedanken auf und proklamierte auf dem Zweiten Ökumenischen Kirchentag in München (2010) den Ökumenischen Tag der Schöpfung.
Dieser wird jährlich am ersten Freitag im September gefeiert. Der 1. September bis 4. Oktober gilt als Schöpfungszeit (und nimmt damit ältere Elemente wie Erntedank auf und übersetzt sie in die heutige Zeit). An vielen Orten in ganz Deutschland wird diese Schöpfungszeit begangen und gefeiert. Hinzu kommt ein zentraler Gottesdienst in Deutschland, der von der ACK in Deutschland in Verbindung mit regionalen und örtlichen Vertretern gefeiert wird.
Im Mittelpunkt stehen das Lob des Schöpfers, die eigene Umkehr angesichts der Zerstörung der Schöpfung und konkrete Schritte zu ihrem Schutz.
Aktuelle Situation
Heute kann gesagt werden, dass nahezu für alle Kirchen, die in der Ökumene aktiv sind, die Verantwortung für die Schöpfung ein wichtiges Thema darstellt. Inhaltlich kann man die aktuelle Position in der Ökumene, was die Schöpfung als Geschenk und Handlungsauftrag betrifft, folgendermaßen beschreiben:
- Am Anfang steht das Staunen über die Schöpfung und das Lob des Schöpfers
Psalm 104 lädt ein, innezuhalten, zu staunen und mitzusprechen: „HERR, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter“ (Ps 104,24). Vor allem Einsatz für die Schöpfung steht ihre Betrachtung, ein Staunen, ein Lob; steht so etwas wie Ehrfurcht.
- Gottes Schöpfung ist ein Lebenshaus für alle
Die Schöpfung ist Gottes wunderschönes Geschenk an uns. Manche erkennen in ihr den Schöpfer. Sein Werk muss uns Christen wichtig sein. Die Welt ist das gemeinsame Lebenshaus aller Menschen und der gesamten Schöpfung.
- Fakten wahrnehmen
Mit dem Klima lässt sich nicht verhandeln. Die wissenschaftlichen Daten sind eindeutig. Wetterextreme häufen sich, Temperaturen steigen, Wälder sterben, Arten gehen verloren, Eisberge schmelzen, weltweit wird Trinkwasser knapp. All dies sind Vorboten noch größerer Veränderungen. Vom Winzer bis zum Wissenschaftler wird dies so gesehen.
- Christinnen und Christen haben Verantwortung für die Schöpfung
Am Anfang der Bibel steht Gottes Auftrag an uns Menschen, Schöpfung zu bebauen und zu bewahren. Wir sind Teil der Schöpfung. Zu unserem Menschsein gehört grundlegend, dass wir mit ihr verbunden und in sie eingebettet sind. Auch die Botschaft des Neuen Testaments zielt nicht nur auf den Menschen, sondern auf die ganze Schöpfung (vgl. Röm 8). Deshalb setzen sich Christen für sie ein.
- Wir lernen Verzicht
Wohlhabende Nationen verbrauchen die Natur besonders stark. Der deutsche Pro-Kopf-Verbrauch an CO2 liegt weit über Ländern wie beispielsweise China, Brasilien oder Indien. Neben der Entwicklung neuer Technologien braucht es Konsumverzicht. Das Ziel: Es bleibt genug für alle.
- Den richtigen Rahmen schaffen
Der Auftrag, Schöpfung zu bewahren, muss zu einer verantwortlichen Klimapolitik führen. Deshalb ermutigen Christen Politikerinnen und Politiker, aus der Erkenntnis der Schöpfungsverantwortung politische Konsequenzen zu entwickeln. Es braucht einen Rahmen für eine gerechte und soziale Klimapolitik.
- Nachhaltige Lebensstile praktizieren und fördern
Die Zeit des verbrauchenden Lebensstils ist vorbei. Jetzt ist ein nachhaltiger Lebensstil von Einzelnen und ganzen Gesellschaften gefragt. Dies betrifft alle Lebensbereiche: Mobilität, Ernährung, Wohnen und Haushalt, Büro und Arbeit, Bekleidung, Tourismus und Freizeit, Produktion und Handel.
- Gott erneuert das Angesicht der Erde
Gott ist am Werk (Ps 104,30). Der Beitrag von Christen zur Klimadebatte kann helfen, Ohnmacht und Schockstarre zu überwinden, die aus Zukunftsprognosen entstehen, sowie zu beherztem Einsatz und neuer Hoffnung zu finden. Die Verheißung einer Neuschöpfung der Erde und die damit einhergehende Begrenztheit der gegenwärtigen (Offb 21) entlassen nicht aus der Fürsorge für die bestehende.
Best practise
Im Alltag Ungewohntes ausprobieren; das eigene Konsumverhalten kritisch hinterfragen; so leben und handeln, dass ein gutes Leben für alle Menschen möglich ist. Darum geht es bei der jährlichen ökumenischen Mitmachaktion „Trendsetter – Weltretter“. Sie lädt Menschen jeden Alters ein, die Schöpfungszeit zu nutzen, um einen nachhaltigeren Lebensstil zu entwickeln.
2018 wurde die Aktion erstmals durchgeführt und stand unter dem Jahresthema „einfach anders konsumieren“. Wer sich – als Einzelne/r oder als Gruppe – anmeldet, erhält während des Aktionszeitraums per WhatsApp oder per Mail vier Wochenaufgaben und täglich einen Impuls für konkrete Veränderungen. Zum Beispiel die Anregung, öfter einmal allein oder gemeinsam zu „ploggen“ (gebildet aus dem schwedischen Wort „plocka“/sammeln und „Jogging“). Bei diesem aus Schweden stammenden Natursport geht es darum, beim Joggen einen Müllbeutel mitzunehmen, während des Laufens Müll zu sammeln und diesen nachher zu entsorgen.
Erd-verbunden (Ein ökumenisch-geistlicher Weg zum Thema Schöpfungsverantwortung)
Der Ökumenische Rat der Kirchen im Umfeld der 10. Vollversammlung in Busan/Südkorea (2013) und Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si‘ (2015) haben in großem Gleichklang auf die massiven Verletzungen planetarischer Grenzen durch den Menschen im Anthropozän (das vom Menschen geprägte Zeitalter in der Erdgeschichte) hingewiesen. Um das gemeinsame Haus Erde zu schützen, haben sie zu einer mutigen kulturellen Revolution aufgerufen. Dafür reichen politische Entscheidungen, technischer Fortschritt und wirtschaftliche Prozesse allein nicht aus. Notwendig ist eine ökologische Spiritualität, die sich in einem erneuerten Lebensstil konkretisiert und Kraft für die anstehenden Veränderungen gibt.
Deshalb wurde ein ökumenisch-geistlicher Weg mit dem Titel „erd-verbunden“ erarbeitet. Er lädt Menschen aus allen Konfessionen ein, ihre tiefe Verbundenheit mit „Mutter Erde“ zu stärken und eine prophetische Lebensweise zu entwickeln. Dazu werden für einen Zeitraum von vier Wochen Impulse für eine tägliche Einzelbetrachtung und für wöchentliche Gruppentreffen gegeben, die von Bildmotiven eines MISEREOR-Hungertuchs begleitet werden.
Viele Christinnen und Christen sind diesen geistlichen Übungsweg – allein oder in Gemeinschaft – bereits gegangen. Sie haben einen neuen Zugang zur Schöpfung gefunden und wurden dazu motiviert, ihren Lebensstil kritisch zu hinterfragen. Viele von ihnen haben aber auch angesichts der gewaltigen Herausforderungen die Erfahrung von Ohnmacht und Überforderung gemacht.
Jochen Wagner
Literatur
Ansorge, Dirk / Kehl, Medard: Und Gott sah, dass es gut war. Eine Theologie der Schöpfung, Freiburg 32018.
Dieckmann, Elisabeth / Hammes, Verena / Wagner, Jochen (Hg.): Verantwortung für die Schöpfung. 10 Jahre ökumenischer Tag der Schöpfung, Freiburg i.Br. 2020.
Janowski, Bernd: Biblischer Schöpfungsglaube. Religionsgeschichte - Theologie - Ethik, Tübingen 2023.
Schellenberg, Annette: Art. Schöpfung (AT), in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, www.wibilex.de.
Schmid, Konrad: Schöpfung im Alten Testament, in: ders. (Hg.), Schöpfung (Themen der Theologie 4), Tübingen 2012, 71-120.