Freie evangelische Gemeinden

Situation in der Gegenwart

Als Freie evangelische Gemeinden (FeG) bezeichnen sich die Gemeinden der kongregationalistisch verfassten klassischen Freikirche, die auf das Wirken des Wuppertaler Kaufmanns Hermann Heinrich Grafe (1818 -1869) zurückgehen. Derzeit gibt es in Deutschland 500 Freie evangelische Gemeinden mit ca. 43.000 Mitgliedern, die in 24 Kreisen und 5 Regionen gegliedert sind. Hinzu kommen etwa 10.000 Kinder und rund 19.000 sogenannte Freunde, die die Gottesdienste der FeG besuchen.

In Deutschland sind die FeG zusammengefasst im Bund Freier evangelischer Gemeinden K.d.ö.R. (BFeG), der sich ausdrücklich als Gemeinschaft im Leben und Dienst an den selbstständigen Einzelgemeinden versteht. Der Bund ist Mitglied im 1947 gegründeten Internationalen Bund Freier evangelischer Gemeinden (International Federation of Free Evangelical ChurchesIFFEC), zu dem nach eigenen Angaben aktuell rund 700.000 Mitglieder aus 30 Ländern gehören.


Geschichte

Neben der reformierten Tradition, die Hermann Heinrich Grafe aus seiner evangelischen Landeskirche übernahm, ist die Entstehung der FeG wesentlich geprägt durch den Genfer Réveil, d.h. die Erweckung in Genf zu Beginn des 19. Jh., die sich in der Schweiz und Frankreich verbreitete und die Grafe 1841 durch die Église évangélique libre in Lyon kennenlernte. Sein Ziel war es daraufhin, eine kirchliche Alternative zum Modell der damaligen Staatskirche bzw. Volkskirche zu entwickeln, d.h. eine Gemeinde zu bilden, zu der nur bekennende Gläubige gehören. Dabei ging es nicht um den Anspruch, eine vollkommene Gemeinde zu sein, der von Grafe ausdrücklich zurückgewiesen wurde, sondern darum, gemäß dem neutestamentlichen Bild als Gemeinde von Glaubenden zu leben.

Eine besondere Rolle spielte dabei die Frage nach der Teilnahme am Abendmahl. Für Grafe war es undenkbar, dass als Säugling getaufte Menschen, die aber faktisch nicht glaubten, am Abendmahl teilnehmen konnten. Aufgrund der Gründung des Evangelischen Brüdervereins 1850 kam es zu ersten Differenzen und Spaltungen mit seiner eigenen Kirche. Der Versuch einer Einigung Grafes mit den Baptisten scheiterte daran, dass man in der Beurteilung der Säuglingstaufe keine Einigung erreichen konnte. Nach langem Ringen gründete Grafe schließlich am 20. November 1854 die „Freie evangelische Gemeinde zu Elberfeld und Barmen“ und trennte sich damit von seiner reformierten Landeskirche. Aus der 1874 in Elberfeld und Barmen gegründeten „Vereinigung von freien evangelischen Gemeinden und Abendmahlgemeinschaften“ entstand schließlich der „Bund Freier evangelischer Gemeinden“, wie er seit 1928 heißt.


Glaubensinhalte

FeG verstehen sich als Gemeinden, die auf dem Boden der Grundentscheidungen der Reformation stehen und diese vor allem im Blick auf das Verständnis von Gemeinde als Gemeinschaft der Glaubenden konsequent weiterführen. Alleinige Grundlage des Glaubens und des Lebens ist darum die Heilige Schrift. Die einzelne Gemeinde ist für die FeG Kirche im vollen Sinne des Wortes und regelt ihre Angelegenheiten selbstständig.

Das Attribut „frei“ im Namen der FeG hat eine dreifache Bedeutung:

  • Wie in den meisten anderen Freikirchen wird eine Person Mitglied der Gemeinde aufgrund ihrer persönlichen Glaubensentscheidung, auf die hin die Taufe erfolgt. FeG sind also Freiwilligkeitsgemeinden.
  • Darüber hinaus verstehen sie sich als unabhängig und frei von jedem staatlichen Einfluss.
  • Einen besonderen Akzent der FeG bildet die Betonung der „freien“, d.h. ganz und gar geschenkten Gnade Gottes, mit dem das reformatorische sola gratia (allein aus Gnade) in den Mittelpunkt des Glaubens gestellt wird.

Auch wenn die FeG keine formellen Bekenntnisse haben, stimmen sie laut der Verfassung des Bundes mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis überein. Der Glaube an den dreieinen Gott und besonders das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Erlöser der Welt ist darum die Voraussetzung zur Mitgliedschaft.

Die Taufe wird in den FeG nur als Gläubigentaufe praktiziert, d.h. sie erfolgt auf das Bekenntnis des Glaubens an Jesus Christus hin durch Untertauchen und unter Verwendung der trinitarischen Formel. Wenn aber jemand aus einer anderen Kirche kommend sich in seinem Gewissen an seine Säuglingstaufe gebunden fühlt und sich einer FeG anschließen möchte, wird das als seine Gewissensentscheidung anerkannt und es erfolgt keine Taufe. Dabei wird die Taufe nicht nur als äußerer Bekenntnisakt verstanden, sondern als Hineinnahme in den Tod und die Auferstehung Jesu. Durch sie macht Gott dem Täufling das Heil gewiss und nimmt ihn in seine Gemeinde auf. Zugleich übernimmt die Gemeinde damit Verantwortung für den Getauften und sein Leben aus dem Glauben.

Das Abendmahl, das in der Regel monatlich gefeiert wird, wird verstanden als Feier der Gemeinschaft der Glaubenden mit Christus. Es setzt darum einerseits den Glauben an Jesus Christus voraus und ist Feier der Glaubenden, es ist andererseits dadurch aber offen für jene Glaubenden, die nicht der FeG angehören. Inhaltlich wird das Abendmahl mancherortsin der Regel eher im Sinne Zwinglis verstanden, d.h. als Erinnerung an das erlösende Handeln Jesu Christi, der in der Feier geistlich gegenwärtig ist, nicht aber in besonderer Weise in den Abendmahlsgaben von Brot und Wein. In der Pastorenausbildung  richtet sich das Abendmahlsverständnis hingegen vorwiegend nach der Tradition Calvins, die den erhöhten Christus als den sieht, der zum Abendmahl einlädt, sich selbst darin den Glaubenden durch den Heiligen Geist vergegenwärtigt und mit Brot und Wein schenkt.

Ebenso wird im Sinne der reformatorischen Grundaussagen der Gedanke des allgemeinen Priestertums betont. Alle Mitglieder der Gemeinde besitzen Verantwortung für die Gemeinde und tragen durch ihre je eigenen Gaben zum Leben der Gemeinde bei. Neben anderen Diensten wird die Gemeinde darum von gewählten Ältesten (Presbytern) kollegial geleitet. Das Amt, das rein funktional verstanden wird, verleiht keine besondere Vollmacht gegenüber den anderen Gemeindemitgliedern, sondern ihm ist die Sorge dafür anvertraut, dass die Gemeinde das Wort Gottes hört (vertikale Dimension) und als einzelne Gemeinde in der Gemeinschaft der Kirche (horizontale Dimension) bleibt.

Die Ordination durch Handauflegung und Gebet ist der Abschluss eines längeren Prozesses, der in der Regel auch das theologische Studium beinhaltet, in dem die Gemeinde anerkennt, dass jemand diese besondere Gabe des Geistes geschenkt bekommen hat und er oder sie nun beauftragt wird, sein Charisma öffentlich in der Gemeinde auszuüben. In Deutschland ist die Ordination von Frauen seit 2010 möglich. Sie gilt aber nicht für alle Gemeinden bzw. Bünde im IFFEC.


Glaubens- und Gemeindeleben

Der sonntägliche Gottesdienst mit der Predigt im Mittelpunkt bildet das Zentrum des kirchlichen Lebens. Umrahmt ist er von zahlreichen speziellen gottesdienstlichen Angeboten für Kinder verschiedener Altersgruppen. Eine vorgeschriebene Agende gibt es nicht, so dass der Gottesdienst entsprechend frei gestaltet werden kann, wobei die Schriftlesung und die Predigt konstitutiv zu ihm gehören. Daneben gibt es zahlreiche weitere Formen der Begegnung der unterschiedlichen Altersgruppen und des Gebets sowohl in den jeweiligen Gemeindezentren wie auch im privaten Kreis.

Zeugnis und Mission gehören für die FeG zum Grundauftrag der Kirche. Sie geschehen durch die Verkündigung im Gottesdienst ebenso wie durch zahlreiche Angebote zum Kennenlernen bzw. Vertiefen des Glaubens, aber auch durch Bekenntnis zum Glauben im Alltag durch Wort und Tat. Neben zwei Diakoniewerken, die dem BFeG angegliedert sind („Diakonisches Werk Bethanien e.V.“ und „Elim Diakonie“) und eine Reihe entsprechender Einrichtungen tragen, vollzieht sich das diakonische Wirken zum einen auf der Ebene der konkreten Gemeinde vor Ort und zum anderen in der Zusammenarbeit mit anderen diakonischen Einrichtungen und Werken.

Die Ausbildung der Pastoren und Pastorinnen geschieht in der Theologischen Hochschule Dietzhölztal-Ewersbach. Sie ist seit 1946 als Nachfolgerin der 1912 in Wuppertal-Vohwinkel gegründeten „Predigerschule“ die zentrale Ausbildungsstätte des BFeG und seit 2011 eine staatlich anerkannte Fachhochschule.

Der Sitz des Bundes Freier evangelischer Gemeinden befindet sich in Witten.


Ethik

Die FeG orientieren sich in ihrem ethischen Handeln an Jesus Christus und damit an dem Zeugnis der Heiligen Schrift. Der Schutz des ungeborenen Lebens, die Ablehnung der Todesstrafe sowie das Festhalten am Leitbild der Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau gehören zur Überzeugung der FeG. Darüber hinaus ist in den letzten Jahrzehnten wie auch in den anderen christlichen Kirchen das Bewusstsein für die Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung gewachsen.

Die Diskussion um konkrete Fragen der Biomedizin sowie um den Umgang mit Homosexualität führt zu Spannungen zwischen dem, was man als Zeugnis der Bibel versteht und den faktischen Gegebenheiten in den Gemeinden vor Ort.


Ökumene

Da die FeG nie ein exklusives Gemeinde- und Kirchenverständnis vertreten haben, sondern sich mit allen verbunden fühlten und fühlen, die den Glauben an Jesus Christus teilen, ist das Bewusstsein für die übergemeindliche Verbundenheit selbstverständlicher Teil des eigenen Glaubens. Darum gab es von Anfang an Kontakte zur 1846 gegründeten Evangelischen Allianz, in der man bis heute den primären Ort der übergemeindlichen Beziehungen sieht.

Ebenso ist der BFeG Mitglied der „Vereinigung Evangelischer Freikirchen“ (VEF), einer 1926 gegründeten Arbeitsgemeinschaft verschiedener Freikirchen, die gemeinsame Aufgaben fördern, die zwischenkirchlichen Beziehungen vertiefen und gemeinsame Belange nach außen hin vertreten will.

Zwar stimmte der BFeG 1947 der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) zu, wurde aber nicht Vollmitglied, sondern behielt die Gastmitgliedschaft lange Zeit bei. 2020 hat er den Antrag auf Vollmitgliedschaft gestellt und wurde am 24. März 2021 als 18. Vollmitglied aufgenommen.

Der BFeG ist kein Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK).

Burkhard Neumann

gegengelesen von Markus Iff

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