Heilige/Heiligenverehrung

Biblische und historische Ursprünge

Die Rede von „Heiligen“ ist im Christentum biblisch begründet. Im Neuen Testament werden alle Christen „Heilige“ genannt, sie sind ein „heiliges Volk“, da Gott in seiner Gnade die auf Christus Getauften mit Heiligkeit beschenkt und in der Nachfolge Christi zur Heiligkeit berufen hat (vgl. Röm 1,7; 1 Kor 1,2; 1 Petr 1,15f.). Daneben gibt es das Verständnis, bestimmte Menschen seien „Heilige“ in dem Sinne, dass ihr Lebenszeugnis etwas Außergewöhnliches darstelle und ihnen eine Vorbildfunktion innewohne, sodass ihnen besondere Wertschätzung bis hin zur Verehrung zuteilwird, mitunter verbunden mit der Vorstellung einer Heilsmittlerschaft. Eine solche Ehrerbietung Menschen gegenüber, deren besondere Leuchtkraft die göttliche Gnade transparent macht, gibt es auch in nicht-christlichen Religionen.

Christliche Heiligenverehrung entstand in Abwandlung des antiken Totenkults und ist historisch bereits im 2. Jahrhundert in der Verehrung der Märtyrer der Alten Kirche klar zu greifen. Schon die Offenbarung des Johannes weist diesen einen besonderen Ort im Himmel zu (vgl. Offb 6,9). Bald wird die Ehrerbietung auch den Bekennern (confessores) zuteil, die mutig für Christus stritten, ohne ihr Leben zu verlieren. Als integraler Bestandteil der Heiligenverehrung tritt bald die Verehrung ihrer Reliquien hinzu. Eine bedeutende Ausweitung erfährt die Heiligenverehrung im 4. Jahrhundert, als sie sich auf diejenigen ausdehnte, die mit ihrem christlichen Lebenszeugnis eines „unblutigen Martyriums“ in vorbildlicher Weise aus der Nachfolge Christi heraus ihr Leben gestaltet haben. Hier sind insbesondere die Asketen, Mönche und Jungfrauen zu nennen. Bald darauf werden auch herausragende Bischöfe als Heilige verehrt. Als eigene Form der Heiligenverehrung ist die Marienfrömmigkeit zu betrachten, die mit dem 5. Jahrhundert aufgrund der Beschlüsse des Konzils von Ephesus (431) stark zunimmt und auf dem Geheimnis der Menschwerdung Christi basiert. Die Verehrung von Fürsten und Machthabern als Heilige birgt immer auch die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung.


Zur Wirkungsgeschichte einer von Heiligenverehrung geprägten Spiritualität

 

Die Heiligenverehrung wurde bald schon zu einem wesentlichen Bestandteil der christlichen Glaubens- und Frömmigkeitspraxis und hat eine überaus reichhaltige Wirkungsgeschichte entfaltet. Dazu zählen die zahlreichen Heiligenviten, die unter Verwendung bestimmter Topoi (z. B. Wunderberichte, Heilung von Krankheiten, Unverweslichkeit des Leichnams) das Leben der Heiligen entfalten. In der christlichen Kunst werden Heilige in vielfältiger Weise auf Wandmalereien, Ikonen und vollplastisch dargestellt. Der Nimbus – einst Zeichen der sakralen Überhöhung des Herrschers – ist ihr gemeinschaftliches Charakteristikum; andere Attribute oder eine Beschriftung machen die Identifizierung möglich. Die verschiedenen Heiligen wurden bald schon zu Gruppen zusammengefasst (z. B. Apostel und Propheten, Märtyrer und Bekenner, Bischöfe und Kirchenlehrer, Könige und Königinnen, Reiter- und Soldatenheilige, Nothelfer, Anargyren etc.). Die immer größer werdende Zahl der Heiligen führte dazu, dass die Heiligen in besonderen Büchern verzeichnet wurden, die mitunter auch biographische Angaben und Gebetstexte einschlossen (z. B. Martyrologien im Westen oder Synaxarien und Menologien im Osten). War die Regulierung der Heiligenverehrung ursprünglich stets den Lokalkirchen vorbehalten, so wurden zunehmend allgemeine Regelungen erforderlich, die auch die Kanonisierung in formalen Heiligsprechungsverfahren einschloss.

Die liturgische Heiligenverehrung manifestiert sich in einer Vielzahl von Heiligenfesten und -gedenktagen, welche v. a. in der römisch-katholischen und in den östlichen Kirchen das Kirchenjahr bis heute maßgeblich prägen. Dabei haben die Heiligenfeste ihre Wurzeln im jährlichen Totengedächtnis und werden in der Regel am Sterbetag als „Geburtstag für das ewige Leben“ gefeiert. Nicht zu unterschätzen ist der sehr alte und früh als verbindlich vorgeschriebene Brauch, Kirchen und Altäre Heiligen zu widmen, was durch die Beisetzung von Reliquien im Altar vollzogen wurde und auch die jährliche Feier eines Patroziniums begründete. Die ursprünglichen Grabstätten der Heiligen entwickelten sich oft zu bedeutenden Pilgerorten. Für das Leben der Familie wurde bedeutsam, Kinder nach Heiligen zu benennen und Namenstage zu feiern.

Für die Spiritualität der Heiligenverehrung war neben der auf der Hand liegenden Vorbildfunktion der Heiligen bald schon die Vorstellung leitend, Heilige könnten als Fürsprecher bei Gott eintreten. Der Gedanke der Fürbitte wurzelt in der in ähnlicher Weise bereits im hellenistischen Judentum bezeugten Vorstellung, die Heiligen besäßen als Freunde Gottes das Vorrecht der Redefreiheit (parrhesia) bei Gott zum Segen für die Lebenden. Das Zweite Konzil von Nikaia (787) entfaltet diese Vorstellung. Die so verstandene Heiligenverehrung ist stets im Horizont ihrer ekklesiologischen Dimension zu verstehen, indem das eschatologische Ziel der pilgernden Kirche die Gemeinschaft der Heiligen (communio sanctorum) darstellt.

 


Unterschiedliche Weisen der Heiligenverehrung in den einzelnen Konfessionen

Die Heiligenverehrung stellt sich in den einzelnen christlichen Konfessionen unterschiedlich dar. Während sie in der römisch-katholischen und in allen östlichen Kirchen sehr ausgeprägt ist und das christliche Leben wesentlich bestimmt, zeichnen sich die Kirchen der Reformation tendenziell durch bestimmte Vorbehalte aus, wobei das anglikanische Verständnis dem katholischen nahesteht. Dass jedoch bestimmte Persönlichkeiten als herausragende Glaubenszeugen und Vorbilder christlichen Lebens verstanden werden, ist Allgemeingut aller christlichen Konfessionen.

Die Unterschiede manifestieren sich bereits deutlich ab dem 8./9. Jahrhundert in der Frage der bildlichen Darstellung und der Verehrung von Bildnissen. Anders als der christliche Osten hatte insbesondere die fränkische Kirche ein recht rationales Bildverständnis und erachtete neben dem Kruzifix nur die Reliquien von Heiligen als kultisch verehrungswürdig. Dementsprechend entwickelte sich im Westen keine dem Osten vergleichbare Bilderfrömmigkeit; vollplastische Skulpturen von Heiligen dominierten gegenüber ikonographischen Darstellungen. In der römisch-katholischen Theologie des zweiten Jahrtausends trat sodann der Gedanke der Heilsmittlerschaft in den Vordergrund, der die fürbittende Rolle der Heiligen herausstellte. Dies zeigt sich insbesondere in der mittelalterlichen Tradition des Patronats: Als Patrone mussten die Heiligen sich der Anliegen der Irdischen bei Gott annehmen. Dieses in der Volksfrömmigkeit verwurzelte Vertrauen auf die besondere Fürsorge durch bestimmte Heilige, das nicht nur den Gedanken der Fürbitte überdehnt, sondern auch eine fragwürdige Tendenz zur Privatisierung einschließt, brachte nicht zuletzt diejenigen Auswüchse hervor, welche die Kritik der Reformatoren begründete. Charakteristisch für das Abendland ist auch eine andere Tendenz, nämlich der Gedanke an einen „heiligen Ursprung“, der etwa die besondere Verehrung von Gründerbischöfen für die einzelnen Diözesen oder von Ordensstiftern zur Folge hatte. Insgesamt ist im Westen die Tendenz zu einer stärkeren Ausrichtung auf ein aktives christliches Handeln zu beobachten, weshalb hier – anders als im christlichen Osten – nicht der Heiligentyp des Asketen dominiert. Was die liturgische Verehrung der Heiligen anbelangt, ist in der römischen Liturgie die Sorge um die Verdrängung des Herrenjahres zu beobachten, was immer wieder zu Reduktionen des Heiligenkalenders führte. In den östlichen Kirchen gibt es diese Sorge nicht, da die Überlagerung verschiedener Gedenkanliegen nicht als Problem, sondern eher als Bereicherung empfunden wird.

Im christlichen Osten entfaltet die östliche (byzantinische) Orthodoxie eine sehr ausgeprägte Heiligenverehrung, während die orientalisch-orthodoxen Kirchen etwas zurückhaltender sind. Besonders großer Wert wird auf die theologische Unterscheidung gelegt, dass absoluter Kultus und Anbetung (latreia) nur Gott allein gebühren; die Verehrung (proskynesis/douleia) der Heiligen und auch die besondere Verehrung (hyperdouleia) der Gottesmutter stellt hingegen einen relativen Kultus dar, der immer auf Gott hin ausgerichtet bleibt. Denn Gott ist der eine Heilige seiner Natur nach, während die Menschen nur durch Gnade an seiner Heiligkeit Anteil erlangen können. In der theologischen Begründung der Heiligkeit tritt dabei der Gedanke der Teilhabe sowie der Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit und des verlorenen Paradieses wesentlich markanter in den Vordergrund als im Westen. Auch ist die Rede von der Vergöttlichung (Theosis) nach dem Vorbild der Heiligen typisch ostkirchlich. Die Vielzahl der Asketen und Mönche im Heiligenkalender sind vor dem Hintergrund des Idealbilds des Dämonenkampfes und eines „engelgleichen Lebens“ zu verstehen, durch welche das Mönchtum  danach strebt, zum Paradies des Anfangs zurückzukehren und die verlorene Gottebenbildlichkeit wieder zu erlangen. In der ausgeprägten Liebe zu den Heiligen hat insbesondere die byzantinische Tradition ein äußerst umfangreiches Eigengut liturgischer Dichtung hervorgebracht. Das sich seit dem 6. Jahrhundert entwickelnde genuin byzantinische Liturgieverständnis führte nicht nur die Konzeption himmlischer Hierarchien (vgl. Pseudo-Dionysios Areopagita) ein, sondern wies den Heiligen eine konstitutive, ekklesiologisch verankerte Rolle im gottesdienstlichen  Geschehen zu: Das zunehmend kosmisch konnotierte Liturgieverständnis beinhaltete vor allem die in (neo)platonischen Kategorien gedachte Vorstellung, der irdische Gottesdienst sei Abbild eines himmlischen Geschehens, sodass die lebenden Heiligen auf Erden mit den bei Gott vollendeten Heiligen gleichsam wie „Konzelebranten“ gemeinsam die Liturgie vollziehen. Schließlich führte der Ausgang des byzantinischen Bilderstreits zugunsten der Bilderverehrer nicht nur zur theologischen Rechtfertigung von Heiligenbildern, sondern beflügelte auch noch einmal mehr deren Verehrung. Die Einführung eines mit Heiligenreliquien versehenen Antimensions ist ebenfalls eine Folge der Überwindung des Ikonoklasmus. Für die byzantinische Tradition ist sicher kennzeichnend, wie tief die Heiligenverehrung liturgisch verwurzelt ist und wie sehr ihre ekklesiologische Bedeutung als Teil der communio sanctorum betont wird, indem in den Heiligen die Verbundenheit des einen, Himmel und Erde umfassenden Gottesvolkes in besonderer Weise sichtbar wird. Diese „Gemeinschaft der Heiligen“ wird dabei primär eucharistisch, also als gemeinschaftliche Teilhabe am „Heiligen“ der Eucharistie, verstanden.

Zur Zeit der Reformation wurde deutliche Kritik an der Heiligen- und insbesondere der Reliquienverehrung geübt, und sie war lange Zeit wohl eine der hervorstechenden Unterschiede im Diskurs mit der katholischen Kirche. Die Reformatoren reagieren allerdings unterschiedlich scharf. Luther und die Wittenberger Reformatoren bezeugen eine modifizierte Rezeption der überlieferten Heiligengedächtnisse. Diese können durchaus als Exempel zur Veranschaulichung der Nachfolge Christi anhand herausragender Personen sinnvoll sein. Als Widerspruch zu den Grundprinzipien der Reformation galt vor allem die katholischerseits lehramtlich gerechtfertigte Anrufung der Heiligen um Fürbitte und Vermittlung helfender Gnaden. Demgegenüber wurde unterstrichen, dass allein Gott angebetet werden könne und Christus der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen sei. Gleichwohl werden nach heutigem Verständnis der evangelischen Kirchen in den Heiligen für die Christen die göttlichen Gnadengaben sichtbar, sie sind als Lehrer und treue Verwalter lobenswert, und ihr Beispiel kann aufrichten und Trost und Stärkung im Glauben schenken. Im Sinne vorbildlicher christlicher Glaubenszeugen erfahren sie daher auch in den Kirchen der Reformation Wertschätzung, solange die Anrufung im Gebet und die Vorstellung einer besonderen Fürbitte ausgeschlossen bleiben. In der lutherischen Agende haben sich insbesondere Gedenktage biblischer Gestalten des Neuen Testaments erhalten, auch der evangelische Namenskalender greift alte Traditionen auf.

 


Ökumenische Differenzen und Möglichkeiten der Verständigung

Die Frage der Heiligenverehrung wurde insbesondere in der Zeit der Reformation zu einer brisanten Auseinandersetzung. Das Konzil von Trient folgt dem Zweiten Konzil von Nikaia (787) und positioniert sich gegenüber den Reformatoren mit der Auffassung, es sei „gut und nützlich, die Bilder der jungfräulichen Gottesgebärerin und anderer Heiliger in den Kirchen zu haben und zu behalten und ihnen die schuldige Ehre zu erweisen“ (DH 1823ff.). Im ökumenischen Dialog gilt es, den positiven, gemeinsamen Zugang eines Verständnisses als vorbildliche Glaubenszeugen zu stärken und in der strittigen Frage der Fürbitte mögliche Missverständnisse auszuräumen. Umstritten bleiben Vorstellungen von der „Gebetsmittlerschaft der himmlischen Heiligen“, vom „Schatz der Verdienste der Heiligen“ sowie das Ablasswesen als solches und die Rolle der Heiligen im Besonderen.

Für den katholisch-orthodoxen Dialog stellt die Heiligenverehrung keine prinzipielle ökumenische Herausforderung dar. Konfliktpotenzial hat allerdings die Einigung über konkret zu verehrende Heilige, insbesondere solche, deren Wirken im unmittelbaren Zusammenhang mit Kirchenspaltungen oder apologetischen Auseinandersetzungen steht.

Die Bemühungen des Zweiten Vatikanums, die Heiligenverehrung in den Gesamtkontext einer Communio-Ekklesiologie zu integrieren, wollen von katholischer Seite dem ökumenischen Anliegen Rechnung tragen: Die Heiligen werden hier primär eschatologisch dort verortet, wo die pilgernde Kirche in der Anschauung Gottes ihr Ziel erreicht (vgl. LG 50). Die Fürbitte der Heiligen wird so zum Ausdruck dafür, dass ihr Leben im Glauben ewige Bedeutung bei Gott erlangt hat, sodass die Heiligenverehrung letztlich im Lobpreis für den in den Heiligen sichtbar gewordenen Sieg der Gnade des einzigen Erlösers Jesus Christus kulminiert.

                                                                                                                                Thomas Kremer

 


Literatur

Angenendt, Arnold: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 21997.

Baumeister, Theofried / Müller, Gerhard Ludwig / Maritz, Heinz / Harnoncourt, Philipp / Plank, Peter / Angenendt, Arnold: Art. Heiligenverehrung, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Auflage, Bd. 4, 1995, 1296–1304.

Gemeinhardt, Peter: Die Heiligen. Von den frühchristlichen Märtyrern bis zur Gegenwart (Beck'sche Reihe; 2498), München 2010.

Lanczkowski, Günter / Larsson, Göran / Hausberger, Karl / Hannick, Christian / Schulz, Frieder: Art. Heilige/Heiligenverehrung, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 14, 1985, 641–672.

Müller, Gerhard Ludwig / Streza, Laurenţiu / Henkel, Jürgen (Hg.): Heilige und Heiligenverehrung in Ost und West. Sfinţii şi cultul sfinţilor în Răsărit şi Apus (Deutsch-rumänische theologische Bibliothek; 8), Bonn/Sibiu 2018.

 

Internetquellen

Ökumenisches Heiligenlexikon: www.heiligenlexikon.de

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