Syrisch-Orthodoxe Kirche

Situation in der Gegenwart

Die Syrisch-Orthodoxe Kirche gehört zur Familie der Orientalisch-orthodoxen Kirchen. Ihr Name leitet sich nicht vom heutigen Staat Syrien ab, sondern bezieht sich auf den weitaus größeren syrischen Kulturraum, der neben dem heutigen Syrien auch die angrenzenden Regionen (Südosttürkei, Libanon, Irak) umfasste. Seit Jahrhunderten bestehen enge Beziehungen zu den indischen Thomaschristen, von denen sich eine große Gruppe im 17. Jh. der Syrisch-Orthodoxen Kirche anschloss, die heute eine autonome Kirche (Malankara Syrisch-Orthodoxe Kirche) innerhalb des Patriarchats von Antiochien bildet. Im 20. Jahrhundert emigrierten viele Gläubige dieser Kirche aufgrund von Verfolgung (1915-17) und Konflikten zwischen Türken und Kurden nach Europa, wo es heute zahlreiche syrisch-orthodoxe Gemeinden gibt.
Geleitet wird die Syrisch-Orthodoxe Kirche vom „Patriarchen von Antiochien und dem ganzen Orient“ (seit 2014: Mor Ignatios Aphrem II.). Zum Syrisch-Orthodoxen Patriarchat von Antiochien zählen ca. 2 Millionen Gläubige (davon mehr als 1 Million in der autonomen indischen Kirche). Die 44 Diözesen dieser Kirche (davon 16 in Indien) stehen jeweils unter der Leitung eines Bischofs, während in den Gemeinden ein von diesen gewählter und vom Bischof geweihter Priester die Gottesdienste leitet. Die zahlenmäßig größten Diözesen der Syrisch-Orthodoxen Kirche befinden sich heute in Deutschland und in Schweden. Für die rund 100.000 Gläubigen in Deutschland gibt es rund 60 Gemeinden und 51 Priester. Der für Deutschland zuständige Bischof (seit 2012: Mor Philoxenos Mattias Nayis) hat seinen Sitz in Warburg/Westfalen.
 


Geschichte

Die Syrisch-Orthodoxe Kirche geht zurück auf das frühchristliche Patriarchat von Antiochien, das sich nach dem Konzil von Chalcedon (451) aufspaltete in Anhänger und Gegner der christologischen Beschlüsse dieses Konzils. Aus den Gegnern der Beschlüsse von Chalcedon, die über Jahrhunderte als „Monophysiten“ bezeichnet und von den byzantinischen Kaisern verfolgt wurden, ging das Syrisch-Orthodoxe Patriarchat von Antiochien hervor. Zu den geistigen Vätern dieser Kirche zählen Ephräm der Syrer (306-373) und Severos von Antiochien (456-538). Jakob Baradai (500-578), der 542 von Patriarch Theodosios von Alexandrien die Bischofsweihe empfangen hatte, weihte im 6. Jahrhundert auf abenteuerlichen Reisen durch den ganzen Nahen Osten zahlreiche Priester und Bischöfe und legte damit die Grundlage für eine eigenständige Hierarchie der Syrisch-Orthodoxen Kirche. In älteren konfessionskundlichen Büchern werden die Angehörigen dieser Kirche daher auch als „Jakobiten“ bezeichnet. 

Im 12. und 13. Jahrhundert erlebten die syrisch-orthodoxen Christen eine Zeit der Renaissance, in der große Theologen wie Dionysios bar Salibi († 1171) und Gregorios bar Hebraeus (1226-1286) die Kirche zu einer Blütezeit führten. Ab dem 14. Jahrhundert folgte unter wechselnden muslimischen Herrschern eine lange Periode des Niedergangs. In dieser Zeit wurde die Identität der Syrisch-Orthodoxen Kirche vor allem vom Mönchtum bewahrt, dessen Zentrum die Klöster des Tur Abdin (im Südosten der heutigen Türkei) bildeten. In der Mitte des 17. Jahrhunderts schloss sich ein großer Teil der indischen Thomaschristen, die ursprünglich zur ostsyrischen Tradition gehörten, aufgrund der Unionspolitik der katholischen Portugiesen dem Syrisch-Orthodoxen Patriarchat von Antiochien an und übernahm von diesem den westsyrischen Ritus. Einen schmerzhaften Einschnitt in der Geschichte der syrisch-orthodoxen Christen stellt der von der jungtürkischen Regierung verübte Genozid an den Christen im zerfallenden Osmanischen Reich (1915-17) dar, von dem neben den Armeniern auch die Syrer und Pontos-Griechen betroffen waren. Bei den Syrern werden die damaligen Ereignisse als „Sayfo“ (Schwert) bezeichnet, weil sie bildlich gesprochen das Herz des syrischen Volkes durchbohrt haben.

Die Patriarchen der Syrisch-Orthodoxen Kirche hatten nach der Zerstörung Antiochiens (heute Antakya im Südosten der Türkei) über Jahrhunderte in verschiedenen Klöstern Mesopotamiens residiert, zuletzt in Mardin (ebenfalls im Südosten der Türkei). Nach dem Genozid wurde der Patriarchatssitz 1924 nach Homs in Syrien und von dort 1959 nach Damaskus verlegt. Die syrisch-orthodoxen Patriarchen verwenden in der Regel „Ignatios“ als ersten Amtsnamen, um ihren Anspruch zu unterstreichen, in der Nachfolge des berühmten Kirchenvaters Ignatios von Antiochien († um 110) zu stehen.
 


Glaubensinhalte

Die Syrisch-Orthodoxe Kirche beruft sich wie alle christlichen Kirchen auf die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, bekennt sich mit den altkirchlichen Glaubensbekenntnissen zum dreieinigen Gott und betrachtet die Beschlüsse der ersten drei Ökumenischen Konzile  (Nizäa 325, Konstantinopel 381 und Ephesus 431) als verbindliche Richtschnur ihres Glaubens. Im Streit um eine korrekte Verhältnisbestimmung zwischen der Gottheit und Menschheit Jesu Christi betont die Syrisch-Orthodoxe Kirche (in Absetzung von der Zwei-Naturen-Lehre des Konzils von Chalcedon) die Einheit Jesu Christi. Zur Entwicklung einer eigenständigen Theologie der Syrisch-Orthodoxen Kirche trugen vor allem die syrischen Kirchenväter des 6. Jh. bei, insbesondere Jakob von Sarug († 521), Philoxenus von Mabbug († 523) und Severos von Antiochien († 538). Der ihnen gegenüber erhobene Vorwurf des Monophysitismus ist, wie neuere Forschungen im 20. Jahrhundert belegt haben, nicht gerechtfertigt. Denn die syrischen Kirchenväter haben in der Regel nicht die streng monophysitische, in der Tat als häretisch zu bezeichnende Lehre des Eutyches († ca. 454) vertreten, sondern folgten der Theologie des Patriarchen Kyrill von Alexandrien († 444), der mit seiner „Mia-Physis-Formel“ die Einheit von Gottheit und Menschheit in Jesus Christus wahren wollte. Die syrisch-orthodoxen Christen sollten daher heute nicht mehr als „Monophysiten“ verunglimpft werden. Ihre christologische Position wäre korrekt als „miaphysitisch“ zu bezeichnen.
 
Im Blick auf das Verständnis von Kirche teilt die Syrisch-Orthodoxe Kirche mit allen anderen orthodoxen Kirchen die Auffassung, dass sie von Bischöfen geleitet werden muss, denen Priester und Diakone zur Seite stehen, die die Gottesdienste in den Gemeinden feiern. Die Leitung der Gesamtkirche liegt in den Händen des Patriarchen, der sein Amt jedoch nur in Übereinstimmung mit den in der Synode vertretenen Bischöfen ausüben kann. In der Syrisch-Orthodoxen Kirche gibt es bis heute die sogenannten „niederen Weihen“, die schon (männliche) Jugendliche erhalten, die als Sänger oder Ministranten im Gottesdienst mitwirken. Frauen üben in der Syrisch-Orthodoxen Kirche kein kirchliches Amt aus, spielen aber im kirchlichen Leben häufig eine tragende Rolle.
 


Glauben- und Gemeindeleben

Das kirchliche Leben spielt sich vor allem auf der Ebene der Gemeinden ab, die nicht nur zum Gottesdienst zusammenkommen, sondern auch ein wichtiges soziales Netzwerk für die Gläubigen darstellen. Die Liturgie wird in der Syrisch-Orthodoxen Kirche bis heute größtenteils in Alt-Aramäisch gefeiert, einem syrischen Dialekt, der der Tradition nach auch die Muttersprache Jesu war. Weil sie darauf besonders stolz sind, bezeichnen sich viele syrisch-orthodoxen Christen selbst als „Aramäer“.
Der eucharistische Gottesdienst wird im Syrischen „Qurbana“ (Darbringung) genannt. Die Syrisch-Orthodoxe Kirche kennt eine Vielzahl von Liturgieformularen (rund 80), von denen viele auf die alte Jerusalemer Jakobusliturgie zurückgehen. Es gibt kaum Vorschriften, wann welches Hochgebet verwendet werden soll, so dass sich hier unterschiedliche regionale Traditionen herausgebildet haben. Das gilt selbst für die Liturgiesprache: In der Regel werden die Texte zwar auf Alt-Aramäisch rezitiert, aber in Syrien verwendet man auch die arabische Sprache, in Indien die Volkssprache Malayalam und in Amerika Englisch. 

Aufgrund der Tatsache, dass Glaube und Identität der Kirche über Jahrhunderte (vor allem in den Zeiten der Verfolgung) vom syrischen Mönchtum bewahrt wurden, spielen Klöster bis heute eine zentrale Rolle im Leben der Syrisch-Orthodoxen Kirche. Das gilt sowohl für die „historischen“ Klöster (wie Mor Gabriel im Tur Abdin oder Mor Mattai im Nordirak) als auch für Klöster, die erst in jüngerer Zeit große Bedeutung für die Syrisch-Orthodoxe Kirche erlangt haben (wie Maarat Saidnaya bei Damaskus als theologisches Ausbildungszentrum der Kirche oder das Kloster St. Jakob von Sarug in Warburg als geistliches Zentrum der 1997 gegründeten Diözese in Deutschland).
Viele syrisch-orthodoxe Gemeinden in Deutschland bieten katechetischen Unterricht für ihre Kinder an und organisieren Jugend- oder Frauengruppen. In einigen Bundesländern gibt es syrisch-orthodoxen Religionsunterricht.
 


Ökumene

Die Syrisch-Orthodoxe Kirche ist auf vielen Ebenen in den ökumenischen Dialog involviert. Seit 1961 gehört sie dem Ökumenischen Rat der Kirchen an und zählte 1974 zu den Gründungsmitgliedern des Nahöstlichen Kirchenrates. Ihr späterer Patriarch, Mor Ignatios Zakka I. Iwas (Patriarch von 1980-2014), gehörte zu den orthodoxen Konzilsbeobachtern beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Seit dem Konzil steht die Syrisch-Orthodoxe Kirche im Dialog mit der Römisch-katholischen Kirche, der zu zwei „Gemeinsamen Erklärungen“ der römischen Päpste mit syrisch-orthodoxen Patriarchen führte. Bei der ersten (1971) wurde der Streit um die Christologie für beendet erklärt, bei der zweiten (1984) wurden darüber hinaus gegenseitige pastorale Hilfen vereinbart, die auch eine begrenzte Sakramentsgemeinschaft umfassen, sodass syrisch-orthodoxe Christen von römisch-katholischen Priestern die Sakramente der Buße, der Krankensalbung und der Eucharistie empfangen dürfen, wenn kein Priester der eigenen Kirche erreichbar ist, und umgekehrt. Seit 2004 beteiligt sich die Syrisch-Orthodoxe Kirche am theologischen Dialog der orientalisch-orthodoxen Kirchenfamilie mit der Römisch-katholischen Kirche. Theologische Gespräche werden auch mit den Kirchen der byzantinischen Orthodoxie (seit 1985), dem Reformierten Weltbund (seit 1993) und der Anglikanischen Kirchengemeinschaft (seit 2002) geführt. Darüber hinaus beteiligt sich die Syrisch-Orthodoxe Kirche am (inoffiziellen) Dialog zwischen allen Kirchen der syrischen Tradition, der von der Wiener Stiftung PRO ORIENTE organisiert wird.

Auch auf regionaler Ebene steht die Syrisch-Orthodoxe Kirche in engem Kontakt mit anderen christlichen Kirchen. So sieht eine „Pastorale Vereinbarung“ mit dem Griechisch-Orthodoxen Patriarchat von Antiochien aus dem Jahr 1991 eine enge Kooperation im Bereich der Seelsorge vor. In Indien wurde 1994 zwischen der Malankara Syrisch-Orthodoxen Kirche und der Römisch-katholischen Kirche eine Erklärung zur pastoralen Zusammenarbeit bei zwischenkirchlichen Ehen verabschiedet. In Deutschland gibt es regelmäßige Kontaktgespräche mit der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz. Die Syrisch-Orthodoxe Kirche ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland.

Johannes Oeldemann

gegengelesen von Martina Aras
 


Literatur

  • Birol, Simon: Syrisch-orthodoxe Christen in Deutschland, in: Orthodoxie in Deutschland, hg. v. Th. Bremer, A.E. Kattan und R. Thöle, Münster 2016, 235-250.
  • Bubolz, Georg / Yalcin, Augin: Aramäer. Integration im Westen, Impulse aus dem Osten, Würzburg 2021.
  • Oeldemann, Johannes (Hg.): Gemeinsamer Glaube und pastorale Zusammenarbeit. 25 Jahre Weggemeinschaft zwischen der Syrisch-Orthodoxen Kirche, Basel 2011.
  • Önder, Josef: Die Syrisch-Orthodoxen Christen. Zwischen Orient und Okzident, Glane-Losser ²2015.
  • Tamcke, Martin: Die Christen vom Tur Abdin. Hinführung zur Syrisch-Orthodoxen Kirche, Frankfurt a.M. 2009.
     
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