Armenisch-Apostolische Kirche

Gegenwärtige Situation

Die Armenisch-Apostolische Kirche zählt zur Familie der orientalisch-orthodoxen Kirchen. In der geschichtlichen Entwicklung haben sich in der Armenisch-Apostolischen Kirche zwei Katholikate und zwei Patriarchate herausgebildet. Oberhaupt ist der "oberste Patriarch und Katholikos aller Armenier", derzeit Karekin II., mit Sitz in Etschmiadzin (Republik Armenien). Unter seiner Jurisdiktion stehen die Patriarchate von Istanbul und von Jerusalem. Der Katholikos von Kilikien (Libanon) ist jurisdiktionell selbständig, steht aber in der Rangordnung an zweiter Stelle. Man zählt weltweit etwa 9-10 Mio. armenisch-orthodoxe Christen, von denen etwa ein Drittel in der heutigen Republik Armenien leben. Das oberste Leitungsgremium der Armenisch-Apostolischen Kirche ist die Nationalkirchliche Versammlung, zu deren Aufgaben die Wahl des Obersten Patriarchen und Katholikos Aller Armenier wie auch die Klärung der wichtigsten Fragen, die die Armenische Kirche betreffen, zählen. Delegierte der Nationalkirchlichen Versammlung sind alle Bischöfe, sowie Vertreter und Vertreterinnen der Diözesen und der Patriarchate. Dabei sind drei Viertel Laien. In Deutschland gibt es heute eine Diözese der Armenisch-Apostolischen Kirche mit 16 Gemeinden. Oberhaupt ist Bischof Serovpé Isakhanyan mit Sitz in Köln.


Geschichte

Der Überlieferung nach sollen die Apostel Bartholomäus und Thaddäus den christlichen Glauben nach Armenien gebracht haben. Im ersten Viertel des 4. Jahrhunderts wurde das Christentum vom damaligen König als Staatsreligion eingeführt. Die Armenisch-Apostolische Kirche wird daher als die älteste Staatskirche gesehen. Vom christlichen Glauben überzeugt wurde der König durch Gregor (+325), den "Erleuchter", einen vom Metropoliten von Cäsarea geweihten Armenier, der als Missionar in seiner Heimat wirkte. Durch ihn wurde diese Kirche zunächst griechisch geprägt. Im späten 4. Jahrhundert löste man sich jedoch vom Metropoliten von Cäsarea und weihte selbst einen Bischof. 

387 wurde Armenien zwischen dem Römischen Reich und dem Perserreich aufgeteilt. Unter der persischen Herrschaft musste sich das Volk gegenüber der zwangsweisen Übernahme des Zoroastrismus zu Wehr setzen, konnte aber schließlich im 5. Jahrhundert die nationale und die religiöse Selbständigkeit bewahren.  Dabei spielte eine Rolle, dass es seit Anfang des 5. Jahrhunderts die erste (alt)armenische Bibelübersetzung gab, nachdem Mesrop Mashtoz die armenische Schrift geschaffen hatte.

In diese Zeitspanne fiel auch das Konzil von Chalcedon im Jahr 451 (viertes ökumenisches Konzil), an dem die Armenier wegen der genannten Umstände nicht teilnahmen. Auf ihrer Synode von Dvin 505/506 entschieden sie sich gegen die Formel von Chalcedon und bestätigten dies noch einmal im Jahr 555. Mit diesem Beschluss (allerdings ins Jahr 552 datiert) beginnt die Jahreszählung der armenischen Kirche, weil hier die Selbständigkeit gegenüber der Reichskirche im Westen und gegenüber der Apostolischen Kirche des Ostens (Nestorianer) im Perserreich, deutlich wurde. 

Im 7. Jahrhundert geriet Armenien unter die Herrschaft der Araber, konnte aber eine gewisse Selbständigkeit bewahren und existierte in verschiedenen Kleinkönigreichen. 1054 annektierte jedoch Byzanz den Landesteil mit der Hauptstadt Ani, die anderen armenischen Siedlungsgebiete fielen in die Hand der Seldschuken. Die Folge war, dass ein Teil des Volkes nach Kilikien (auch Kleinarmenien genannt) auswanderte. Daher ließ sich im 12. Jahrhundert der Katholikos dort nieder (zuerst in Hromkla, später in Sis). Im 14. Jahrhundert erlagen die Armenier dem Ansturm der muslimischen Mamluken, weshalb der Katholikos im 15. Jahrhundert seine Residenz wieder nach Etschmiadzin verlegte. Aufgrund eines Streits blieb jedoch gleichzeitig ein Katholikos in Sis, d.h. es gab nun zwei Zweige der Gesamtkirche. Bereits im 14. Jahrhundert hatte sich auch der Bischof von Jerusalem unabhängig gemacht und den Titel ‚Patriarch‘ angenommen. Als die Osmanen 1453 Konstantinopel eroberten, errichteten sie für die nicht-chalzedonensischen Christen ein neues armenisches Patriarchat in Istanbul. 

Im Verlauf des 17./18. Jahrhunderts erkannten die beiden Patriarchate den Primat des Stuhls von Etschmiadzin an, aber der Patriarch von Konstantinopel blieb in zivilrechtlichen Fragen weiterhin oberste Instanz für die Armenier in den Grenzen des Osmanischen Reiches. 

Teile Großarmeniens (darunter Etschmiadzin) kamen im 19. Jahrhundert zum russischen Zarenreich, wodurch die Kirche unter eine starke staatliche Kontrolle geriet. Schließlich wurde Armenien der UdSSR eingegliedert, was dazu führte, dass 1930 die Neuwahl des Katholikos untersagt wurde. Erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zu einer gewissen Duldung der Kirche. Nach dem Ende der Sowjetunion wurde der Wiederaufbau der kirchlichen Strukturen in der Republik Armenien energisch betrieben.

Im Osmanischen Reich dagegen kam es Ende des 19. Jahrhunderts zu blutigen Massakern an Armeniern, nachdem in der westlichen Diaspora entstandene Revolutionsbewegungen im Land selbst Anhänger gefunden hatten. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gingen die sogenannten „Jungtürken“ daran, ein vereinheitlichtes, ethnisch rein türkisches Staatswesen zu verwirklichen, indem die Armenier zusammen mit anderen christlichen Bevölkerungsgruppen 1915 systematisch in den Tod in der syrischen Wüste getrieben wurden, wo mehr als 1,5 Millionen elend ihr Leben verloren. Kirchlicherseits konnte sich das Patriarchat in Istanbul bis heute halten. Das Katholikat von Sis (Kilikien) wanderte in den Libanon, wo es heute in Antelias bei Beirut seinen Sitz hat.


Glaubensinhalte

Grundlage für den Glauben der Armenisch-Apostolischen Kirche sind das Alte und Neue Testament, die Beschlüsse der drei ersten Ökumenischen Konzile, die Beschlüsse der örtlichen armenischen Konzile und die Überlieferungen der Kirchenväter. Insbesondere die christologische Formel des Konzils von Chalcedon (451) wurde als Widerspruch zu der Auffassung des Konzils von Ephesus 431 verstanden. Die armenische Kirche bekennt auf der Grundlage der Lehre von Kyrill von Alexandria, dass Christus eine geeinte Natur besitzt, in der alle menschlichen wie auch alle göttlichen Merkmale vollkommen erhalten sind, ohne irgendeine Vermischung oder Verwandlung (μία φύσις τοῦ θεοῦ λόγου σεσαρκωμένη – „eine Natur des fleischgewordenen Wortes Gottes“). Die Armenier sehen in der Auffassung des Konzils von Chalcedon, dass Christus „zwei Naturen in einer Person“ sei, die Gefahr, dass die beiden Naturen die Bedeutung von zwei Personen erhalten. Der armenische Glaube betont demgegenüber das Einssein der göttlichen und der menschlichen Dimension in Christus, nicht jedoch ihre Vereinigung.

Die Armenische Kirche kennt sieben Sakramente, Mysterien genannt: Taufe, Firmung, Kommunion, Buße, Ehe, Ordination, Krankensegnung. Die drei erstgenannten Sakramente sind eng miteinander verbunden, so dass die Firmung (Salbung mit Myron) unmittelbar im Anschluss an die Wassertaufe gespendet wird und der Täufling dadurch die sofortige Zulassung zur Eucharistie empfängt. In der Regel werden Säuglinge durch Eintauchen des gesamten Körpers getauft. Zur Kommunion taucht der Priester in der Regel ein Stück des konsekrierten Brotes in den Wein und legt es auf die Zunge der Kommunizierenden.  Auf das Bußsakrament bereiten sich die Gläubigen durch Fasten und Gebete vor. Die Beichte wurde immer öffentlich, vor der Gemeinde abgelegt. Zeitweise wurde die westliche Tradition der Einzelbeichte übernommen. Heute wird die Beichte meist als Gemeindebeichte praktiziert. Die Ordination wird gespendet für die drei Weihestufen: Diakonat, Priestertum, Episkopat, wobei die beiden letztgenannten Männern vorbehalten sind.  Priester können verheiratet sein, Bischöfe kommen aus dem Mönchtum. Die Krankensegnung wird heute im Zusammenhang mit der Taufe gespendet.

Das hauptsächliche Glaubensbekenntnis, das in der Liturgie gesprochen wird, ist das Nizäno-Konstantinopolitanum in einer Fassung, die Epiphanius von Zypern zugeschrieben wird und sich vom offiziellen Text der byzantinischen Tradition unterscheidet. Bei sonntäglichen Morgenandachten wird das Glaubensbekenntnis des Gregor von Tat’ev verwendet.  

Die armenische Kirche hat eine synodale Struktur, in der jede Gemeinde und Diözese sowie jedes Patriarchat oder Katholikat durch eine Synode verwaltet wird, in der im Allgemeinen der Anteil an Laien größer ist als die Zahl der Geistlichen.


Spiritualität

Das kirchliche Leben wird zentral geprägt von der heiligen Liturgie (armenisch: Surb Patarag – Heiliges Opfer) als Vergegenwärtigung der Geburt und der Passion Christi in der Eucharistie. Dabei bekommen die Gläubigen Anteil am Leib und am Blut Christi.  Die Kirche glaubt, dass während der Liturgie Gott Vater durch den Heiligen Geist das Brot und den Wein wahrhaftig in Leib und Blut Christi verwandelt. In der Liturgie wird das Opfer Jesu Christi aktualisiert im Gedächtnis daran. Damit wird sie zum Dankopfer. Die Teilnahme an der Eucharistie wird als eine Grundpflicht des Christen gesehen und soll so oft wie möglich geschehen. Sowohl Geistliche als auch Laien empfangen Brot und Wein. Die Teilnahme an der Eucharistie bedarf der Vorbereitung durch Beichte, Fasten und Beten. 

Die Liturgie besteht aus: Vorbereitungsgottesdienst, Ungetauftenliturgie, Opfergottesdienst und Entlassung.  Die Liturgie gehört zur Familie des syrischen Ritus, enthält aber auch lateinische Elemente (z.B. ungesäuertes Brot). Die Liturgiesprache ist Altarmenisch. Es gibt in der Regel keine Ikonostase, wie in der byzantinischen Tradition, aber ein Vorhang trennt das Allerheiligste (den Altarraum) vom übrigen Kirchenraum.  

Musik spielt in der armenischen Kirche eine sehr wichtige Rolle. Alle neun Stundengebete, die Göttliche Liturgie und alle anderen Zeremonien finden mit musikalischer Begleitung, vor allem Gesang, statt. Die Kirchenmusik ist ursprünglich monodisch; erst mit Makar Yekmalian und Komitas Vardapet gibt es auch Mehrstimmigkeit im gottesdienstlichen Gesang. Die Orgelbegleitung der liturgischen Gesänge in manchen Gemeinden ist eine Neuerung.

Die Armenische Apostolische Kirche verehrt als Heilige Personen aus dem Alten und Neuen Testament, aus den ersten fünf Jahrhunderten sowie eigene Heilige der Armenischen Kirche. Maria, die Mutter Gottes, steht dabei an erster Stelle. Ihre Verehrung ist Teil der Glaubenstradition, aber kein Dogma

Ein besonderes Kennzeichen der armenischen Kultur sind Kreuzsteine (so genannte Chatschkare), die ursprünglich an wichtige Ereignisse erinnerten und später auch als Grabsteine verwendet wurden. 

Die Ethik der Armenischen Kirche unterscheidet sich nicht von der der orthodoxen Kirche. Das Gesetz Gottes wird als Unterstützung für den Menschen auf dem Weg zum Heil verstanden. Aktuell bereitet die Kirche ein Konzil vor, bei dem eine Reihe von ethischen und sozialethischen Fragen auf der Tagesordnung stehen.


Ökumene

Die Armenisch-Apostolische Kirche ist seit 1962 Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen (sowohl das Katholikat von Etchmiadzin als auch das Katholikat von Kilikien) und auch in der Konferenz Europäischer Kirchen sowie – auf deutscher Ebene – seit 1996 in der ACK Deutschland. Ihre Vorstellung von der Einheit der Kirchen beruht auf einer Gemeinschaft von selbständigen Schwesterkirchen auf der Basis der ersten drei ökumenischen Konzile. In Deutschland hat die Diözese der Armenisch-Apostolischen Kirche die Tauferklärung von Magdeburg 2007 unterzeichnet.

Dagmar Heller

gegengelesen von Dirardur Sardaryan


Literatur

Heiser, Lothar: Das Glaubenszeugnis der armenischen Kirche, Trier 1983.

Heyer, Friedrich (Hg.): Die Kirche Armeniens. Eine Volkskirche zwischen Ost und West, Stuttgart 1978.

Krikorian, Mesrob: Die Armenische Kirche, Frankfurt a.M. 22007.

Lange, Christian / Pinggéra, Karl (Hgg.): Die altorientalischen Kirchen. Glaube und Geschichte, Darmstadt 2010 (2. Aufl. 2011).

Sardaryan, Diradur: Surb Patarag – Die Heilige Liturgie der Armenischen Apostolischen Kirche. Eine Einführung, Berlin/Münster 2017.

Winkler, Gabriele / Sardaryan, Diradur: Das Mysterium der Heiligen Liturgie der Armenischen Apostolischen Kirche. Armenischer Text und Deutsche Übersetzung, St. Etschmiadzin 2012.

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