Koptisch-orthodoxe Kirche

Situation in der Gegenwart

Die Koptisch-orthodoxe Kirche von Alexandrien gehört zur orientalisch-orthodoxen Kirchenfamilie und trägt ihr Stammland Ägypten im Namen (arab. qibt von gr. aigyptios), in dem sie zutiefst verwurzelt ist. In Ägypten sind heute wohl rund 10% der Bevölkerung Kopten, die Angaben schwanken zwischen 8 und 15 Millionen. Die Kopten verstehen sich als legitime Erben der alten Ägypter und sind als eigenes Volk mit eigener Kultur die größte christliche Gemeinschaft in der arabischen Welt. Seit 2012 ist Papst Tawadros II. (* 1952) als 118. Nachfolger auf dem Stuhl des heiligen Markus Oberhaupt der koptischen Kirche mit Hauptsitz in Kairo.
Die Kirche gliedert sich heute in über 90 Diözesen weltweit. Eine koptische Diaspora ist inzwischen in vielen Ländern präsent, allein in den Vereinigten Staaten lebt eine Million Kopten, besonders viele leben auch in Kanada und Australien.
Die lebendigen koptisch-orthodoxen Gemeinden in Deutschland zählen rund 12.000 Angehörige. Die Kirche hat mit dem Kloster Kröffelbach im Taunus (gegr. 1980) und dem Kloster Brenkhausen bei Höxter (gegr. 1993) ihre beiden Hauptzentren, an denen jeweils ein Bischof residiert. Beide Orte sind in besonderer Weise offen für den Empfang von Gästen. Zudem gibt es zahlreiche sehr lebendige Pfarreien. Die deutschen Gemeinden sind durch einen relativ hohen Anteil von Kopten geprägt, die vor einigen Jahren den Sudan aus politischen Gründen verlassen haben.


Geschichte

Der Weg der Ausbreitung des Christentums führte sehr bald in die Metropole des Nildeltas, welche bereits für die jüdische Diaspora so große Bedeutung besaß: Alexandrien. Die Kirche Ägyptens führt ihre Gründung auf den Evangelisten Markus zurück. Historisch bedingt hat sie ein eigenes Gepräge als Kirche der Märtyrer, als Ort alexandrinischer Theologie und als Wiege des Mönchtums entwickelt – drei Aspekte, die in der frühesten Kirchengeschichte wurzeln, aber bis heute für das Selbstverständnis der koptischen Kirche entscheidend sind.

Die Erinnerung an die Märtyrerzeit, die ihren Höhepunkt im 3. Jahrhundert hatte, wird dadurch wachgehalten, dass der koptische Kalender mit dem Jahr 284 beginnt, dem Jahr des Regierungsantritts Diokletians, als in grausamen Christenverfolgungen das Blut der Märtyrer die Erde Ägyptens tränkte. Zugleich und lange darüber hinaus erlebt die junge Christenheit in Ägypten eine große theologische Blüte, die in der „alexandrinischen Schule“ herausragende Theologen und Kirchenväter wie Klemens von Alexandrien (um 150 – um 215), Origenes (185–253/4) und Athanasios d. Gr. (um 300 – 373) hervorbrachte, die sich bereits damals auch um Katechese und Wissenstransfer bemühten. In einem gewissen Kontrast zum kosmopolitischen, von der Wissenschaft erfüllten Geist der Städte ist Ägypten auch das Land der Beter und Büßer in der Wüste, wo einst am Übergang vom 3. zum 4. Jahrhundert das christliche Mönchtum entstand und von dort bald weite Kreise zog. Dabei gilt Antonios († 356) als eigentlicher Begründer des christlichen Mönchtums und als Vater der Eremiten. Pachomios († 346) gründete in Oberägypten das erste gemeinschaftliche Kloster und verfasste das erste monastische Typikon
.
Für diese frühe Periode der ägyptischen Christenheit von einer koptischen Kirche im konfessionellen Sinne zu sprechen, wäre verfehlt. Denn vom reichen Schatz dieses kirchlichen Erbes zehrt die ganze Christenheit bis auf den heutigen Tag. Ein länger andauernder Prozess der Trennung zwischen der ägyptischen Kirche und der von Konstantinopel dominierten Reichsorthodoxie setzte ein, nachdem Alexandrien unter Patriarch Dioskuros († 454) dem Konzil von Chalkedon (451) die Zustimmung verweigerte. Diese Phase der Selbstprofilierung der ägyptischen Kirche kann als formative Periode der Koptisch-orthodoxen Kirche verstanden werden. Sie zeichnet sich auch dadurch aus, dass sich die koptische Sprache, die jüngste Entwicklungsstufe des Ägyptischen, in einer neuen Qualität als Literatur- und Liturgiesprache etablierte und das bis dahin weithin gebräuchliche Griechisch ablöste. Mit Schenute von Atripe († 466) erlebte sie sogleich einen ihrer Höhepunkte. Koptisch wird heute neben Arabisch und anderen Sprachen in der Liturgie verwendet, ist aber nicht mehr Umgangssprache der Kopten. Die mitunter blutigen Verfolgungen von Kopten durch Angehörige der chalkedonensischen Orthodoxie in dieser Zeit der Trennung gehören zu den besonders betrüblichen Aspekten der Kirchengeschichte.

Seit der islamischen Eroberung gab es neben schwerwiegenden antichristlichen Ausschreitungen (v. a. im 8.–9. Jahrhundert) durchaus auch Zeiten einer gelungenen Koexistenz von Christen und Muslimen in Ägypten, in denen die koptische Kirche bedeutende Schriften in arabischer Sprache hervorbrachte. Gleichwohl schrumpfte die Kirche stark, insbesondere in der Mamlukenzeit konvertierten viele Christen zum Islam. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sie, allmählich wieder aus ihrem Schattendasein hervorzutreten. Heute ist die Koptisch-orthodoxe Kirche nicht nur in kirchlicher Hinsicht eine überaus lebendige Gemeinschaft mit einem überdurchschnittlichen Bildungsniveau, sie ist auch im öffentlichen Leben Ägyptens eine respektierte Größe, zahlreiche Kirchen, darunter nicht wenige Neubauten, prägen das Land und der koptische Papst genießt höchste Anerkennung. Gleichwohl werden die Kopten oft Opfer von islamistischen Anschlägen, und insbesondere Kirchen gelten als gefährdete Orte.
 


Glaubensinhalte

Die drei Charakteristika, welche als Besonderheiten die Geschichte der Kirche Ägyptens prägten, spiegeln sich auch heute in den Glaubensinhalten:
Die Koptisch-orthodoxe Kirche steht fest auf dem Fundament der ersten drei Ökumenischen Konzilien, doch Nikaia I (325) gilt als das entscheidende Konzil, da es – nicht zuletzt auf der Grundlage der alexandrinischen Theologie – den Arianismus verworfen und das Glaubensbekenntnis in seiner ursprünglichen Form ausformuliert hat. Geprägt durch die über Kyrill von Alexandrien († 444) vermittelte Formel von der „einen Natur des fleischgewordenen Gott-Logos“ und unter dem Eindruck der Ablehnung der chalkedonensischen Zweinaturenlehre, welche die Kopten zu sehr an den Arianismus erinnerte, wird die Frage des Mono- bzw. Miaphysitismus und das Theologumenon von der vereinigten gottmenschlichen Natur Christi zum leitenden Aspekt koptischer Christologie. Für die Spiritualität der Kopten ist die Theologie des Wüstenmönchtums von nicht zu unterschätzender Bedeutung, wie sie vor allem in den „Apophthegmata Patrum“ (= „Aussprüche der Väter“) überliefert wird: Hier steht der Kampf mit den Dämonen der Wüste und mit den menschlichen Leidenschaften im Zentrum, der zur rechten Disposition für ein gottgefälliges Leben führt. Die Erinnerung an das Erbe der Märtyrer erlebt in jüngster Zeit durch dramatische Ereignisse wie das Martyrium der 21 Kopten in Libyen zu Beginn des Jahres 2015 sowie die zahlreichen Anschläge in Ägypten insbesondere seit der „Arabellion“ ab 2010 eine neue Aktualität, sodass den Kopten wieder sehr aktuell ins Bewusstsein getreten ist, eine „Kirche der Märtyrer“ zu sein und so das Kreuz Christi zu tragen.
Hinzu tritt bei den Kopten das tiefe Bewusstsein, in einem Land der Bibel zu leben: Nicht nur der Aufenthalt der Kinder Israels in Ägypten und der Exodus unter Mose sind lebhaft präsent. Mit besonderer Liebe erinnern sich die Kopten an die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten (Mt 2,13–15), die im Land der Pharaonen am Nil Zuflucht finden durfte.
 


Glaubens- und Gemeindeleben

Unter den Päpsten Kyrill VI. (1959–1971, heiliggesprochen 2013) und Schenuda III. (1971–2012) vollzog die koptische Kirche eine innere Reform und erlebte dabei eine Renaissance. Betrachtet man diese Erweckungsbewegung, so lässt sich das äußerst vitale kirchliche Leben der Kopten besser verstehen. Die Reform konzentrierte sich auf drei Schwerpunkte: die katechetische Unterrichtung der jungen Generation in Sonntagsschulen, die Revitalisierung des monastischen Lebens und der Klöster als spirituelle Zentren und die Förderung einer lebendigen Gemeindeliturgie unter aktiver Beteiligung der Gläubigen.

Die Förderung der religiösen Bildung durch die Kopten nahm ihren neuzeitlichen Anfang bereits in der Amtszeit von Papst Kyrill IV. (1854–1861). Mit dem Sonntagsschulprogramm gelang es später auf faszinierende Weise, nicht nur die Kenntnisse um die eigene Tradition und den christlichen Glauben zu vertiefen, sondern vor allem auch ein neues Selbstbewusstsein zu etablieren, welches sich nachhaltig positiv auf die koptische Kirche auswirkte.

Als zweites ist es der koptischen Kirche gelungen, einstmals nahezu verlassene Klöster wiederzubeleben, wobei insbesondere hochgebildete Akademiker den Weg in die Wüste suchten. Für diese Bewegung steht paradigmatisch der Name des Abtes Matta al-Maskin († 2006), dem der Wiederaufbau des Makariosklosters in der Nitrischen Wüste gelang. Die Klöster sind heute vor allem geistliche Zentren, welche in großer Zahl von den Gläubigen besucht werden, die dort Rat und geistliche Begleitung suchen. So verdankt die Christenheit der Kirche von Ägypten nicht nur das Mönchtum, die koptische Kirche bleibt bis heute ungewöhnlich stark davon geprägt, was sich nicht zuletzt auf die Bedeutung des Fastens für die koptische Spiritualität auswirkt.

Schließlich hatten die Päpste Kyrill VI. und Schenuda III. in aller Klarheit vor Augen, dass die mit der ganzen Gemeinde gefeierte Eucharistie Zentrum und Quelle allen christlichen Lebens ist. Darum galt ihre besondere Aufmerksamkeit dem Bemühen um lebendige Gottesdienste in den Gemeinden. Eigentlich ist der alexandrinische Ritus der koptischen Kirche durch seine monastische Einfachheit und ausgiebige Psalmengebete geprägt und durch die langen Offizien des Stundengebets recht anspruchsvoll für die Gläubigen. In den Kirchen ist eine hölzerne Trennwand mit einer großen Mitteltür das Äquivalent zur byzantinischen Ikonostase. Ein Charakteristikum ist die besonders ausgiebige Feier der Weihrauchdarbringung. Der koptischen Kirche gelingt es aber auf beeindruckende Weise, die Gläubigen durch Gesang, Gebet und rituelle Beteiligung in die langen Gottesdienste zu integrieren. Besonders auffällig ist, wie viele Kinder und Jugendliche oft als Ministranten oder Chorsänger mitwirken.
Insgesamt kennt die koptisch-orthodoxe Kirche eine lebendige Beteiligung und eine weitreichende Mitverantwortung von Laien am kirchlichen Leben. Dies zeigt sich in der Wahl von Pfarrern in den Pfarreien sowie im äußerst ausgeklügelten Papstwahlrecht der Kopten, bei dem zuletzt rund 2400 Wahlmänner und -frauen beteiligt waren.
 


Ethik

Die Ethik der koptischen Kirche ist vor allem praktisch orientiert und zeichnet sich durch ein hohes soziales Engagement aus, für das ein eigenes Bischofsamt für soziale Dienste und Ökumene verantwortlich zeichnet.


Ökumene

Die Koptisch-orthodoxe Kirche hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg dem ökumenischen Gedanken geöffnet und gehört seit 1954 dem Ökumenischen Rat der Kirchen an. Seit 1964 wurden die Gespräche mit der byzantinischen Orthodoxie intensiviert und erhebliche Annäherungen erreicht. Die sog. „Wiener christologische Formel“ von 1971 ist die entscheidende Grundlage für eine gemeinsame Neuinterpretation der Christologie des Konzils von Chalkedon. Sie wurde maßgeblich durch das Engagement der Stiftung PRO ORIENTE erzielt, welche sich sehr um die sog. „Altorientalenkonsultationen“ bemüht hat. Ein historischer Meilenstein auf dem Weg der Ökumene und Ausgangspunkt für den theologischen Dialog zwischen katholischer und Koptisch-orthodoxer Kirche ist die gemeinsame Erklärung, die Papst Paul VI. († 1987) und Papst Schenuda III. am 10. Mai 1973 unterzeichneten. 1988 kam es schließlich zu einer Übereinkunft mit der katholischen Kirche, in der das einstige Zerwürfnis von Chalkedon weitgehend ausgeräumt wurde. 2003 wurde die „Gemeinsame Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Katholischen Kirche und den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen“ gegründet, die sich um weitere Verständigung bemüht. Der derzeitige koptisch-orthodoxe Papst Tawadros II. setzt sich seinerseits intensiv für die Ökumene ein. In einer gemeinsamen Erklärung vom 28. April 2017 kündigten Papst Tawadros und Papst Franziskus an, dass sie „ernsthaft bestrebt sind, die Taufe nicht zu wiederholen, die in einer unserer Kirchen einer Person gespendet wurde, die sich der anderen anschließen möchte“. Dies krönte die bisherigen ökumenischen Bemühungen, sodass das Verhältnis beider Kirchen als ausgesprochen gut bezeichnet werden kann.

In den Ländern des Nahen Ostens engagiert sich die Koptisch-orthodoxe Kirche zudem im „Middle East Council of Churches“. So kann sie insgesamt als ein ausgesprochen aktives Mitglied der ökumenischen Bewegung betrachtet werden.


Thomas Kremer

gegengelesen von Fouad Ibrahim
 


Literatur

  • Behlmer, Heike / Tamcke, Martin (Hg.): Christen in Ägypten (Göttinger Orientforschungen; 60), Wiesbaden 2015.
  • Boochs, Wolfgang (Hg.): Geschichte und Geist der Koptischen Kirche, Langwaden 2004.
  • Brunner-Traut, Emma: Die Kopten. Leben und Lehre der frühen Christen in Ägypten Gegenwart (Diederichs gelbe Reihe; 39), München 51997.
  • Gerhards, Albert / Brakmann, Heinzgerd: Die koptische Kirche. Einführung in das ägyptische Christentum (Kohlhammer-Urban-Taschenbücher; 451), Stuttgart u. a. 1994.
  • Thomas, Martyn u. a. (Hg.): Copts in Egypt. A Christian minority under siege. Papers presented at the First International Coptic Symposium, Zurich, September 23–25, 2004, Zürich 2006.
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