Mülheimer Verband Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden

Situation in der Gegenwart

Der Mülheimer Verband Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden (MV)  ist eine evangelikal-charismatisch geprägte Freikirche in Deutschland. Zum kongregationalistisch verfassten MV gehören aktuell 51 rechtlich und theologisch selbstständige Gemeinden mit insgesamt ca. 5.000 Mitgliedern in sechs regionalen Bünden. Rechtlich ist der MV seit 2013 ein eingetragener Verein, dessen Geschäftsstelle sich in Bremen befindet. 


Geschichte

In Mülheim an der Ruhr kam es 1905 zu Erweckungserlebnissen, die zur Gründung einer „Gemeinschaft Mülheim“ durch Ernst Modersohn und Martin Girkon führten. Eine wichtige Rolle in der Anfangszeit spielten auch Jakob Vetter, Jonathan Paul und Emil Humburg. Neben der Heiligungsbewegung wurden in diesen Kreisen Impulse der Pfingstbewegung aufgenommen. Die mit der Geisttaufe verbundenen Phänomene sowie eigene theologische Ansichten führten 1909 zur Verurteilung der Pfingstler in der von Vertretern der Gnadauer Gemeinschaftsbewegung und der Evangelischen Allianz verfassten „Berliner Erklärung“.

Diese Ausgrenzung hatte eine beginnende eigene Organisation der pfingstlichen Kreise zur Folge, die sich jedoch weiterhin als geistliche Erneuerungsbewegung innerhalb der Landeskirchen verstanden. Durch Konferenzen und die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift wurde Mülheim das Zentrum der Pfingstbewegung in Deutschland. Als erster formeller Zusammenschluss wurde 1913 die „Christliche Kolportage-Gesellschaft mbH“ gegründet, die 1938 in „Christlicher Gemeinschaftsverband Mülheim a. d. Ruhr“ (CGV) umbenannt wurde. Lokal jeweils unterschiedlich entwickelte sich das Selbstverständnis der Gemeinden: von Gemeinschaften, die sich den Landeskirchen eng verbunden fühlten, hin zu einem eigenständigen freikirchlichen Profil. 1998 fand dieser Prozess seinen Abschluss in der Verabschiedung eines neuen Grundsatzpapiers und einer Namensänderung in „Mülheimer Verband Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden“. 2009, hundert Jahre nach der „Berliner Erklärung“, konnte der Streit mit dem Gnadauer Gemeinschaftsverband durch eine Gemeinsame Erklärung beider Bewegungen überwunden werden.
 


Glaubensinhalte

Auf der Grundlage der altkirchlichen Glaubensbekenntnisse und der Grundeinsichten der Reformation legt der MV einen besonderen Akzent auf das Wirken des Heiligen Geistes, der im Leben des Einzelnen wie in der Welt auch heute erfahrbar ist, wie es im Neuen Testament beschrieben wird. Dabei ist die Bibel als irrtumsloses Gotteswort die verbindliche und zugleich auslegungsbedürftige Grundlage für Glauben, Lehre und Leben. 

Die Bekehrung und der Glaube an Jesus Christus als Retter und Herrn sind die grundlegenden Wirkungen des Heiligen Geistes. Darüber hinaus kann er auch heute vielfältigen Gaben schenken (vgl. Röm 12 und 1 Kor 12), darunter die Gaben der Prophetie, der Krankenheilung und der Sprachenrede. Mit dem Empfang geistlicher Gaben können außergewöhnliche körperliche Zustände verbunden sein. Solche besonderen Gaben und Geisterfahrungen werden allerdings nicht als der Taufe folgendes zusätzliches Ereignis der Geisttaufe gedeutet. Sie sagen nach Ansicht des MV auch nichts über den Stand der Heiligung oder eine besondere Stufe im geistlichen Leben einer Person aus und sind nicht Voraussetzung für die Übernahme bestimmter Dienste. 
Mitglied einer Gemeinde im MV wird man durch (1) die geistliche Wiedergeburt (vgl. Joh 3,3), die als persönliche Bekehrung erlebt und als Vertrauensverhältnis zu Jesus als Retter und Herr verstanden wird, (2) die anschließende Taufe und (3) die Bereitschaft, ein an der Heiligen Schrift orientiertes Leben zu führen. Dementsprechend wird die Säuglings- oder Kindertaufe abgelehnt und die Gläubigentaufe ab einem Alter von 14 Jahren durch Untertauchen praktiziert. Denjenigen, die aus einer anderen Kirche kommen, wird die Mitgliedschaft auch dann ermöglicht, wenn sie im Rahmen einer Gewissensentscheidung zu ihrer Kindertaufe stehen wollen. 

Zum Abendmahl, das als Gedächtnis-, Gemeinschafts-, Bekenntnis- und Hoffnungsmahl verstanden wird, sind alle Gottesdienstbesucher eingeladen, die Jesus Christus als ihren Herrn anerkennen und bereit sind, ihr Leben nach den biblischen Grundsätzen auszurichten.
 


Glaubens- und Gemeindeleben

Die Gemeinden des MV sehen sich berufen, das Beste für die Städte und Menschen in Deutschland zu suchen (vgl. Jer 29,5-7). Dies geschieht durch Gebet, Evangelisation und Diakonie. Zentrum des Gemeindelebens ist der sonntägliche Gottesdienst , der durch (Lobpreis-)lieder, Gebet und Predigt frei gestaltet ist und keiner festen Agende folgt. Die Moderation im Gottesdienst, Gebete und auch die Predigt übernehmen nicht allein die Pastor*innen, sondern in Sinne des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen auch Älteste oder Gemeindemitglieder. In der Regel einmal im Monat wird im Gottesdienst Abendmahl gefeiert.

Die zweite Säule des Gemeindelebens sind regelmäßige Treffen in Kleingruppen (Haus[bibel]kreise). Von den Gemeindemitgliedern wird drittens die aktive Mitarbeit in der Gemeinde erwartet. 

Geleitet werden die Gemeinden von einem Kreis von Ältesten, in den Gemeindemitglieder berufen werden und in dem der Dienst des ordinierten Pastors bzw. seit 2011 auch der ordinierten Pastorinnen als primus inter pares verstanden wird. Finanziell lebt die Gemeinde von freiwilligen Beiträgen der Mitglieder.
Eine zentrale Aufgabe sehen die Gemeinden des MV in der Evangelisation Deutschlands. Erklärtes Ziel ist es, Menschen zum Glauben führen und neue Gemeinden zu gründen. Weiter gehört das diakonische und gesellschaftliche Engagement zum Profil des MV. 
 


Ethik

Grundlage der Ethik  ist für den MV eine Lebensführung, die sich an der Bibel  orientiert und als Heiligung verstanden wird. Durch die von Gott in Christus geschenkte Vergebung der Sünden kann der Christ in der Kraft des Heiligen Geistes ein neues Leben beginnen. Zu ethischen Fragen mit Blick auf die Gemeinde (Sonntagsheiligung, Spenden), das tägliche Leben (Schwarzarbeit) und von Sexualität, Familie oder Biomedizin werden konservative Positionen formuliert. Von Mitgliedern wird ein entsprechendes persönliches Verhalten erwartet und auch in der Gemeinde thematisiert.

 


Ökumene

Der MV wurde 1970 als Gastmitglied in die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) aufgenommen und ist seit 2009 Vollmitglied. Bis 2002 arbeitete der MV im 1979 gegründeten „Forum freikirchlicher Pfingstgemeinden“ (FFP) mit. Im Zusammenhang mit der Entwicklung zu einer charismatisch-evangelikalen Freikirche trat der MV 1981 der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) als Gastmitglied bei. 1991 folgte die Vollmitgliedschaft. Mit anderen evangelikalen Kirchen, Verbänden und Werken ist der MV über die Deutsche Evangelische Allianz verbunden.

Volker Meißner

gegengelesen von Alexander Stavnichuk


Literatur

  • Krust, Christian (Hg.): Was wir glauben, lehren und bekennen, Altdorf bei Nürnberg 1980.
  • Mülheimer Verband (Hg.): Ethische Entscheidungen treffen. Orientierung in stürmischen Zeiten, Bremen 2017.
  • Mülheimer Verband (Hg.), Selbstverständnis. Die DNA des Mülheimer Verbandes  Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden e.V. Bremen 2015.
  • Vetter, Ekkehart: Jahrhundertbilanz – erweckungsfasziniert und durststreckenerprobt. 100 Jahre Mülheimer Verband Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden. Ein Beitrag zur Erweckungsgeschichte im 20. Jahrhundert und zur Entstehung der Pfingstbewegung in Deutschland, Bremen 2009.
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