Baptistischer Weltbund

Geschichte

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden sich Christen unterschiedlicher Denominationen  immer mehr bewusst, dass ihre Kirchen im Zug der Expansion westlicher Kolonialmächte und als Folge des Gehorsams gegenüber dem Missionsbefehl (Mt 28,19) auf allen Kontinenten zu finden waren und schufen weltweite Zusammenschlüsse, so auch die Baptisten. Einflussreiche Baptisten aus Nordamerika hatten sich schon länger für eine „Pan-Baptistische Konferenz“ eingesetzt, so dass die britische Baptistische Union im Oktober 1904 beschloss, Vertreter baptistischer Gremien aus aller Welt nach London einzuladen. Im Juli 1905 trafen sich ca. 3.000 Delegierte aus 26 Ländern in der Londoner Exeter Hall, um den Baptistischen Weltbund  (Baptist World Alliance = BWA) zu gründen. Der britische Pastor Alexander Maclaren (1826–1910) wurde zum Präsidenten des Kongresses berufen. Bei der Eröffnung bat er alle Teilnehmenden, das Apostolische Glaubensbekenntnis  zu sprechen. Wenngleich Baptisten unter die non-creedal churches  gezählt werden, sollte hier sichergestellt werden, dass sie nicht nur unter sich engere Beziehungen suchen wollten, sondern sich auch als Teil der universalen Kirche verstanden.
Die Präambel der erarbeiteten Verfassung drückte die Notwendigkeit aus, „die wesentliche Einheit im Herrn Jesus Christus als ihrem Gott und Heiland der Kirchen der baptistischen Kirchenverfassung und des Glaubens für den gesamten Dienst [...] auszudrücken“ und verwendete damit bekannte Formulierungen z.B. aus der „Pariser Basis“ des CVJM von 1855. Die BWA war keine Konföderation , sondern achtete die Unabhängigkeit jeder Mitgliedskirche. Nur Unionen, Konventionen  oder Vereinigungen, nicht aber Einzelpersonen oder Ortsgemeinden, konnten die Mitgliedschaft beantragen. Der Vorstand sollte aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten aus jedem in der Allianz vertretenen Land, einem Schatzmeister und aus je einem Sekretär der östlichen Hemisphäre (britisch) und der westlichen (amerikanisch) bestehen, das Exekutivkomitee aus dem Präsidenten, dem Schatzmeister, den zwei Sekretären und 21 Mitgliedern entsprechend einer geografischen Quote. Alle fünf Jahre sollte eine Vollversammlung zusammenkommen; dann war auch das Exekutivkomitee neu zu wählen. Im Baptist House in London wurde ein Büro für den Weltbund eingerichtet, bis deutsche Bomben das Haus zerstörten und der Sitz nach Washington, DC, verlegt wurde. Der erste Präsident war der britische Pastor Dr. John Clifford (1836–1923), ein wortgewaltiger sozialer Aktivist, der sich für die unteren Schichten der Gesellschaft einsetzte.
Der 5-Jahres-Rhythmus der Kongresse konnte erst nach dem Zweiten Weltkrieg eingehalten werden. Der Weltbund stellt von Beginn an ein Forum für Gemeinschaft, eine Drehscheibe für Hilfsdienste, eine Stimme für die Freiheit, ein Instrument der Evangelisation und Mission sowie ein Mittel der Kommunikation dar. Die Fragen und die möglichen Antworten sind meist in nicht-bindenden Resolutionen zu finden, für die besondere Ausschüsse eingesetzt werden. 


Statistik

Der Baptistische Weltbund hat 239 Mitgliedskirchen in 125 Ländern und Territorien. Er zählt insgesamt 168.491 Gemeinden und hat 47.500.324 Mitglieder, davon in:
Afrika: 43.857 Gemeinden, 18.929,416 Mitglieder
Asien/Pazifik: 34.530 Gemeinden, 5.070,578 Mitglieder
Karibik: 2.854 Gemeinden, 367.367 Mitglieder
Zentralamerika: 3.349 Gemeinden, 232,714 Mitglieder
Europa: 13.132 Gemeinden, 732.038 Mitglieder
Naher Osten: 106 Gemeinden, 6.440 Mitglieder
Nordamerika: 55.649 Gemeinden, 19.766,653 Mitglieder
Südamerika: 15.014 Gemeinden, 2.395,118 Mitglieder


Religionsfreiheit

Das Eintreten für Religionsfreiheit zählt zu den Schwerpunkten der Arbeit des Baptistischen Weltbundes. 1937 prägte der damalige Generalsekretär Rushbrooke die Formel: "Wenn der Weltbund im Interesse der Religions- und Gewissensfreiheit, der Anbetung und der Predigt handelt, handelt er nicht nur für Baptisten, sondern für alle," und Theodore F. Adams forderte als BWA-Präsident 1960 Freiheit für, Freiheit von, Freiheit durch, Freiheit in und Freiheit der Religion. Die UNO erkannte 1974 den Weltbund als Nichtregierungsorganisation an, was wichtig war, um dem Einsatz für Menschenrechte und besonders für Religionsfreiheit  weltweit Nachdruck zu verleihen. 


Frieden

Auf dem Kongress 1934 in Berlin lautete die theologische Grundlage: „Dieser Kongress bekräftigt seine tiefe Überzeugung, dass Krieg dem Geist Christi widerspricht.“ Man forderte „die Einberufung einer internationalen Konferenz der christlichen Kirchen, [...], um Krieg abzuwenden und Frieden zu stiften.“ Diese Worte fielen wenige Wochen vor Bonhoeffers Drängen auf ein „Friedenskonzil“. Nicht nur in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland waren Nationalismus, Rassismus, und Antisemitismus wichtige Themen. Nationalismus wurde als eines der größten Hindernisse für Frieden und Verständnis zwischen den Nationen dargestellt. Auch ist er nach Überzeugung des Kongresses für die christliche Mission hinderlich und „im Verbund mit dem Militarismus“ am gefährlichsten. Der christliche Glaube hat demgegenüber die Verpflichtung, das Wohl aller Menschen mit Liebe und „unabhängig von Rasse, Nationalität, Religion oder sozialem Ansehen“ zu fördern. Im Mai 2001 war Berlin erneut Ort einer Konferenz, die bestätigte, dass der Nationalismus eine „Form des Götzendienstes“ und mit dem christlichen Glauben unvereinbar ist. „Rassenbarrieren“ beim Miteinander in der Kirche sind „eine monströse Leugnung des Herrn“. 1934 wurde in Berlin einstimmig eine Resolution angenommen, in der es u.a. heißt: „Dieser Kongress bedauert und verurteilt als eine Verletzung des Gesetzes Gottes, des himmlischen Vaters, alle rassischen Feindseligkeiten und jede Form von Unterdrückung oder unfairer Diskriminierung gegenüber den Juden, gegenüber farbigen Menschen oder gegenüber Untertanen unterschiedlicher Rassen in irgendeinem Teil der Welt.“ Dies war der erste Protest einer christlichen Organisation auf deutschem Boden gegen den deutschen Antisemitismus. Später wurde das Kastenwesen in Indien als „eine der heimtückischsten zivilisierten Sünden“ verurteilt, und die Ausbeutung „wehrloser Untertanenvölker“, die „Aneignung von Grund und Boden der Eingeborenen“ durch kommerzielle Interessen als „schamlose Gier“ und „Raub“ bezeichnet. Verurteilt wurde 1986 das Apartheidsystem in Südafrika. Nach Ausschreitungen in Südkalifornien organisierte der Weltbund eine Sonderkommission gegen Rassismus, die die „Erklärung von Harare“ formulierte, in der Baptisten aufgefordert werden, die Sünde des Rassismus durch Evangelisation, Gottesdienste, Erziehung, Gemeinschaft und prophetisches Handeln aufzudecken. Im Januar 1999 kam es zu einem „Internationalen Gipfeltreffen der Baptisten gegen Rassismus und Ethnische Konflikte“ in der historischen Ebenezer Baptist Church in Atlanta, Georgia, wo Vater und Sohn Martin Luther King  als Pastoren tätig waren. Das Gipfeltreffen verabschiedete das Dokument „Atlanta Covenant“. 


Gerechtigkeit

Progressive Baptisten waren an der Frage interessiert, wie Gerechtigkeit in der wirtschaftlich-kapitalistischen Ordnung zum Zuge kommen kann. In einer Gesellschaft, in der „die Starken und Klugen und Selbstsüchtigen einen klaren Vorteil haben“, müssen Christen die Wirtschaftsordnung rekonstruieren durch 1. einen existenzsichernden Lohn; 2. eine Planwirtschaft, um die Ressourcen von Kapital und Arbeit korrekt zu nutzen; 3. eine Überwindung der Arbeitslosigkeit. Pastoren müssen als „Propheten der Kirche“ das soziale Gewissen in Bezug auf die systemischen Übel und Ungerechtigkeiten wecken, Christen müssen Gesetze unterstützen, mit denen antisoziale Praktiken eingedämmt werden, und alle sollen sich engagieren, um eine neue Form der „sozialen Evangelisation“ hervorzubringen, um „die [wirtschaftlich] Starken zu den Grundsätzen Jesu zu bekehren“. Dies würde „die ältere individualistische Evangelisation ergänzen“ und christliche Kapazitäten für den wirtschaftlichen Wiederaufbau zur Verfügung stellen. 
Andere soziale Anliegen waren u.a.: Klimawandel, Folter, Sklaverei und Menschenhandel, Massenmigration unbegleiteter Minderjähriger in den Amerikas, Gewalt und Missbrauch gegen Frauen und Mädchen.


Evangelisation und Mission

Die Jahre 1990 bis 2000 wurden zur „Dekade der Evangelisation“ ausgerufen. Kontextualisierung des Evangeliums sollte zu einem „ganzheitlichen Ansatz“ führen. Es gab Konferenzen zum Thema „Gemeindegründung“ und „Living Water“ (Lebendiges Wasser)-Seminare. Schließlich berief Generalsekretär Denton Lotz 2003 einen „Gipfel über baptistische Mission im 21. Jahrhundert“ ein mit dem Programm „Mission aus aller Welt in alle Welt“, was eine reverse mission einschließt. 


Diakonie

Nach beiden Weltkriegen standen Hilfe und Unterstützung oben auf der Agenda. Die HIV / AIDS-Krise war eine besondere Herausforderung. Die Micha-Initiative und die Millenniums-Entwicklungsziele der UNO zur Halbierung der weltweiten Armut wurden allen Gemeinden empfohlen. Ein „Forum für Hilfe und Entwicklung“ wurde 2019 gegründet, um die Bemühungen nach einer Katastrophe zu koordinieren und nachhaltige Entwicklungsprojekte zu entwickeln.


Ökumene

Man lehnte eine Kirchenunion ab, da weder eine „kirchliche Maschinerie“, noch Papsttum, Episkopat oder Synode die Einheit bringen können, sondern „Freiheit in Christus“. Ernest Payne von der britischen Union wurde 1968 zu einem der sechs Präsidenten des ÖRK gewählt. Der Weltbund ist durch bilaterale Gespräche an ökumenischen Bemühungen beteiligt:
Von 1973 bis 1977 mit dem Reformierten Weltbund;
von 1984 bis 1988 mit dem Päpstlichen Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen;
von 1986 bis 1989 mit dem Lutherischen Weltbund;
von 1989 bis 1992 mit der Mennonitischen Weltkonferenz;
von 2000 bis 2005 mit dem Anglikanischen Konsultativrat;
von 2006 bis 2010 eine zweite Runde mit dem Vatikan;
von 2014 bis 2018 mit dem Weltrat Methodistischer Kirchen
2017 begann eine dritte Runde mit dem Vatikan.
Wegen ihrer kongregationalistischen Verfassung fragt sich, wer mit einer gewissen Autorität für Baptisten sprechen kann. Baptisten können laufende Dialoge als Zeichen der Einheit, als „Einheit im Prozess des Werdens“, verstehen.
Die inner-baptistische Einheit wurde 2004 durch den größten Baptistenbund, die Southern Baptist Convention  in den USA, auf die Probe gestellt. Als im Kampf um die Führung dieses Bundes die Fundamentalisten  gewannen, versuchten sie anschließend, den Weltbund unter ihre Kontrolle zu bringen. Als dies misslang, zogen sie sich zurück.

Erich Geldbach


Literatur

Geldbach, Erich (Hg.): Baptisten weltweit. Ursprünge, Entwicklungen, Theologische Identitäten (Die Kirchen der Gegenwart 7), Göttingen 2021.
Pierard, Richard V. (Hg.): Baptists Together in Christ 1905-2005. A Hundred-Year History of the Baptist World Alliance, Samford University Press 2005.
 

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