International Christian Fellowship (ICF)

Einleitung

Das ICF beschreibt sich als „freie, überkonfessionelle Kirche auf biblischer Grundlage. Authentisch, relevant und begeistert vom Leben mit Jesus“. Insgesamt kann das ICF als Gemeindegründungsbewegung und „Lifestyle“-Kirche beschrieben werden, die im Evangelikalismus zu verorten ist und teilweise Elemente des Pentekostalismus integriert. Kennzeichnend sind ein modernes Corporate Design, moderne Musik und Medientechnik, Fokus auf ein unmittelbares Erleben Gottes und eine alltägliche Ethik. Durch sein Wachstum, verschiedene Kontroversen und eine bewusste Bezugnahme auf Franchise-Modelle aus der Wirtschaft erhält das ICF immer wieder mediale Aufmerksamkeit.


Gegenwärtige Situation

Das ICF ist vor allem im deutschsprachigen Raum (D, A, CH) verbreitet. Darüber hinaus gibt es Standorte in weiteren europäischen Ländern (NL, PL, CZE, ALB, UKR, IT, HR) sowie in Rio de Janeiro, Tel Aviv und in Kambodscha. Laut dem Jahresbericht 2021 gehören zum ICF insgesamt 62 Kirchen, 19 Startup Kirchen (neugegründete Gemeinden) und 24 Micro Churches (Treffen von Bekannten und Freunden, die sich den Gottesdienststream in Privaträumlichkeiten gemeinsam anschauen).


Geschichte

Die Literatur zum ICF führt häufig zwei Gründungsjahre an: 1990 und 1996. 1990 wurde durch Heinz Strupler das „studio icf“ in Zürich gegründet. Dessen Leitung übernahm 1996 Leo Bigger gemeinsam mit Matthias Bölsterli und Micky Conod, woraus der Verein mit dem Namen „icf-church“ und das ICF in seiner heutigen Form hervorging. Das ICF selbst thematisiert außerhalb besonderer Anlässe die Gründung nur am Rande und spricht von einer Begründung durch Susanna und Leo Bigger, die bis heute an der Spitze der Kirche stehen.

Als formativ wird das Jahr 1999 beschrieben, als in Basel die erste ICF- Gemeinde außerhalb Zürichs gegründet wurde, wodurch sich die Struktur des ICF veränderte: Die Gemeinde in Zürich wurde in ICF Zürich umbenannt und zur Muttergemeinde des „ICF Movement“.


Glaubensinhalte

Für das ICF steht nicht eine Neuformulierung von Glaubensinhalten im Zentrum, sondern unter dem Stichwort der "Theopraxie" das Umsetzen einer evangelikalen Theologie und Ethik. Wenn das ICF Theologie betreibt, so ist diese unmittelbar im Interesse eines praktischen Christentums. Basis ist eine Theologie des Mittelwegs, die Elemente der charismatischen Erneuerungen bzw. des Pentekostalismus in abgeschwächter und relativierter Form aufgreift. Das theologische Paradigma des ICF Movement entsteht vor allem aus der Erfahrung heraus. Es gibt keine Veröffentlichungen oder Statements zu theologischen Themen, was eine gewisse Agilität in der Praxis ermöglicht, die auch mit dem Selbstverständnis als Bewegung zusammenhängt. Folglich lassen sich in der Charakterisierung des ICF eher Tendenzen benennen.

Offenbarungsgrundlage(n)

Das ICF beruft sich auf die Bibel als wörtlich zu nehmende Offenbarungsquelle. Darüber hinaus sind es Bezüge auf den Heiligen Geist, die ein aktualisierendes, individuelles wie kollektives Erleben der Botschaft ermöglichen. Hier wird an eine pentekostale Bibelhermeneutik angeknüpft.

Im ICF zeigen sich aktuell Bemühungen um eine theologische Systematisierung der Bibelhermeneutik, um ein „reifes Verhältnis“ zur Bibel, eine Reflexion der liturgischen Formen und eine Vertiefung der privaten Bibellektüre zu schaffen. Dabei wird auf das Bibelverständnis des anglikanischen Neutestamentlers N. T. Wright als Drama mit fünf Akten (Schöpfung, Sündenfall, Rettungsmission mit Israel, Jesus und Heiliger Geist und der Beginn der Kirche) zurückgegriffen.

Gottesverständnis

Gott greift ins Leben ein, ist deshalb im Alltag, in Gebet und Gottesdienst unmittelbar persönlich erlebbar. So können Geschehnisse im Alltag als Gottes Antwort oder Reaktion auf Gebete oder als Zeichen seiner Existenz, Gnade sowie Liebe gedeutet werden. Ziel für die Gläubigen ist es auch, die Kontrolle an Gott abzugeben und auf dessen Führung ihres Lebens zu vertrauen, da er als "Versorger" im Leben der Gläubigen in Erscheinung tritt. Zentrale Figur der Trinität ist Jesus. Der Heilige Geist spielt neben dem Vater ebenfalls eine wichtige Rolle, wobei die Personen der Trinität hin und wieder nicht klar voneinander getrennt werden oder Eigenschaften übergreifend zugeschrieben werden. Insbesondere über die gesungenen Lieder wird Jesus als starker und machtvoller König beschrieben, selten wird der Beiname Christus verwendet.

Ekklesiologie

Das ICF entwickelt keine explizite Ekklesiologie. In den Predigten ist allerdings die Konzeption eines Bundes zwischen Gott und Kirche erkennbar. In der vertikalen Dimension ist es ein (neuer) Bund, indem der Heilige Geist "eine Geschichte mit der Kirche schreibt" und die Bewegung der Kirche vorgibt. Das ICF versteht sich explizit als Bewegung, die sich von einem fest institutionalisierten Christentum, welches unter dem Schlagwort "Religion" gefasst wird, abgrenzt und sich als offen für Impulse des Heiligen Geistes versteht. Die horizontale Dimension des Bundes ist nicht ausgeprägt, es gibt kein Kirchenvolk. Die einzelnen "ICFler" haben eine starke individuelle Frömmigkeit und kommen in Angeboten des ICF in losen, aber engagierten Zusammenhängen zueinander. Die Kirche ist für das Christsein nicht unbedingt notwendig, wird aber als hilfreich und empfehlenswert angesehen. Der Bezug auf die neutestamentarische Urgemeinde funktioniert über den neuen Bund und nicht über eine Konstitution der Gläubigen in einer Ältestenschaft. Die Gemeinde wird von Leitungspersönlichkeiten strukturiert, die Leitungsaufgaben übernehmen oder die Aufgaben unter sich aufteilen. Hierbei wird auf wirtschaftliche Organisationsformen zurückgegriffen. Eine Einheit der aus rechtlich-unabhängigen Gemeinden bestehenden Kirche wird durch Logo, Name, Design, Predigtreihen sowie (in-)formelle Beziehungen über das Netzwerk des ICF hergestellt. Die einzelnen Gemeinden sollen über den "Style" eindeutig als ICF-Gemeinden erkennbar sein. Gleichwohl finden sich regionale Unterschiede in Theologie und Glaubensleben.

Kirchliches Leben

Der Gottesdienst des ICF, Celebration genannt, ist geprägt vom Paradigma des attraktionalen Gottesdienstes bzw. des "seeker-sensitive service". Bei diesem steht das Missionsanliegen im Vordergrund, weshalb Elemente, die für Außenstehende irritierend, abschreckend oder unverständlich sein könnten, wie bspw. die Zungenrede, nicht zu finden sind. Die attraktionale Gottesdienstgestaltung des ICF geht auf das Vorbild von Bill Hybels Willow-Creek-Gemeinde zurück: Musik als wichtiges Mittel der Frömmigkeitspraxis und der Celebrations. Sie rahmt die Predigt, die im Zentrum der Celebrations steht. Die Predigten zeichnen sich durch eine alltagsnahe Verkündigung aus, die durch den Einsatz von kurzen Sketchen und bildlichen Darstellungen veranschaulicht wird.

Das Abendmahl wird unregelmäßig gefeiert. Das Verhältnis zu Staat und Gesellschaft ist durch einen impliziten Rekurs auf die Zwei-Reiche-Lehre bestimmt, das ICF lebt in einer Naherwartung des Gottesreiches.


Gemeindeleben

Neben den wöchentlichen Gottesdiensten, von denen in größeren Gemeinden auch mehrere sonntäglich gefeiert werden, werden auch sogenannte Hangouts nach und außerhalb der Gottesdienste sowie geschlechts-, alters-, beziehungs- und themenspezifische „Smallgroups“ angeboten. Zusätzlich zu den Smallgroups gibt es auch thematische Workshops und Events sowie Freizeiten (z.B. Paarberatung, Männer- oder Frauenabende und der Explore-Kurs zum Kennenlernen des ICF). Durch die Corona-Pandemie etablierten sich an den verschiedenen Standorten sogenannte Micro Churches.


Kirchenorganisation

Die ICF-Gemeinden sind als eingetragene Vereine organisiert, in denen aber im Wesentlichen nur Personen aus der Leitungsebene der Gemeinde Mitglied sind; es gibt keine formale Gemeindemitgliedschaft. Geleitet werden die Gemeinden durch eine/n Leitungspastor/in oder durch ein Leitungspastorenehepaar, um welches sich ein Team bildet. Zwischen nationaler und internationaler Ebene gibt es das sogenannte Collaboration-Board (Länderleiter/innen um Bigger und Teichen, Stand 2021) und Länderleitungsteams, die auf internationaler Ebene der Leitung von Leo und Suzanna Bigger unterstehen. Im Februar 2022 wurde bekannt gegeben, dass es keine reine Top-Down-Leitung mehr, sondern nun ein Teamleadership auf oberster Leitungsebene geben soll.

Die ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter/innen arbeiten in unterschiedlichen Teams wie Welcome-Team, Prayer-Team oder Social-Media-Team zusammen. Von den Gemeindezugehörigen wird Engagement, finanzielle Beteiligung und Teilhabe an der Gemeinschaft erwartet. Die Mitglieder sind angehalten, sich finanziell an der Gemeinde zu beteiligen. Seit einigen Jahren tritt das sog. "Reach" als jährliche zweckgebundene Sonderkollekte hinzu, bei dem die Gemeinde dazu animiert wird, eine größere Summe zusammenzutragen.

Als Ausbildungsstätte wird das ICF-College mittlerweile auch online und an sechs Standorten in der Schweiz und Deutschland angeboten. Trotz des Ausbildungsangebotes ist ein Besuch einer Bibelschule o.Ä. keine Voraussetzung, um Pastor/in oder Leiter/in im ICF Movement zu werden.


Kirchliches Leben

Neben kleinen Sonderveranstaltungen der lokalen Gemeinden gibt es auf Movement-Ebene Konferenzen mit thematischen Angeboten wie "Ladies Lounge" oder Worship-Touren der Worship-Band, die in der Züricher Gemeinde angesiedelt ist. Die Gottesdienste werden online zum Streamen, die Predigten als Podcast oder YouTube-Video zur Verfügung gestellt. Zu den Publikationen des ICF gehören von den Pastorenpaaren Bigger und Teichen veröffentlichte Ratgeber, in denen Lebenscoaching und populärwissenschaftliche Erkenntnisse in den Kontext des Glaubens gesetzt werden. Darüber hinaus gibt es ein vierteljährliches kostenloses Magazin sowie diverse Arbeitshefte zu verschiedenen Glaubensthemen, die in einem Online-Shop erworben werden können. Im Allgemeinen ist das ICF Movement sehr medienaffin. Fast jede Gemeinde ist in mehreren sozialen Netzwerken vertreten und betreibt eine Telegramgruppe.


Ethik

Die Ethik des ICF ist unter dem Stichwort "göttlicher Lifestyle" gefasst, womit die Orientierung an Jesus in allen Lebensbereichen (Jüngerschaft) bezeichnet wird. Der Schritt, sich für Jesus zu entscheiden, aber auch den Lehren und dem gelebten Vorbild der Pastoren zu folgen, schafft eine Brücke zwischen der Lehre und dem privaten Leben. Für das persönliche Heil ist die Unterordnung der Lebensführung unter die Entscheidung für Jesus und für eine persönliche Bindung an ihn von zentraler Bedeutung. Daraus gehen Heilung und Freiheit hervor ("Get-free"). Generell wird in der Ethik des ICF davon ausgegangen, dass ein Befolgen göttlicher Prinzipien positive, ein Nicht-Einhalten negative Auswirkungen auf das Leben hat. Diese Botschaft soll durch Missionierung und Evangelisation ("Output") weitergegeben werden.

Aktuelle Themen im Bereich der Ethik sind einerseits ein christlicher Zionismus, der die Bedeutung Israels für das Heilsgeschehen betont, und Fragen der Sexualethik. Es werden einerseits für das evangelikale Milieu prägende Vorstellungen (voreheliche Enthaltsamkeit, Ablehnung von Selbstbefriedigung und Homosexualität) als Wege zu einem erfüllenden (Sex-)Leben neu begründet und andererseits gesellschaftliche Phänomene wie Pornographie(-sucht), Promiskuität und Prostitution kritisiert.


Ökumene

Eine bereits erhaltene Kinder- und Erwachsenentaufe wird akzeptiert.  Regelmäßig werden Taufangebote für Erwachsene gemacht, bei denen die Möglichkeit einer öffentlichen oder privaten Tauferinnerung für bereits Getaufte gegeben wird. Erkennen die Interessent/innen ihre eigene Taufe nicht an, können sie auch an einer erneuten Taufe teilnehmen.

Die Gemeinden des ICF Movement sind teilweise Mitglieder der jeweiligen lokalen Evangelischen Allianz. 2021 ist das ICF in der Schweiz aus dem Dachverband der Freikirchen in der Schweiz nach zwei Jahren Mitgliedschaft ausgetreten. Drei österreichische ICF-Gemeinden (Salzburg, Vorarlberg und Wien) gehören durch Mitgliedschaft im Verband der Freien Christengemeinden (FCG) dem Gemeindebund "Freie Christengemeinde – Pfingstgemeinde FCGÖ" an und folglich zur FKÖ ("Freikirchen in Österreich"). Das Movement ist in eigenen und informellen Netzwerken mit einzelnen Gemeinden oder Persönlichkeiten verbunden. Die Teilnahme an lokalen oder nationalen Veranstaltungen wie 2020 "Deutschland betet gemeinsam", ist als eine Art ökumenische Arbeit lesbar.

Seit 2017 wird das sogenannte "ICF Network" angeboten, dem sich Gemeinden anschließen können, die keine ICF-Gemeinde werden wollen, aber die Ressourcen des Movements nutzen. Darüber hinaus dient es den Pastoren zur Vernetzung und zur Wachstumsinspiration.

                                                                                                                              Gero Menzel und Caroline Sosna

gegengelesen von Manuel Schmid

 


Literatur

- ICF Church (Zürich): So schreibst du Geschichte mit Gott – 25 Jahre ICF Church | Pastor Leo Bigger & Team, online abrufbar auf https://www.youtube.com/watch?v=YzLlpFE2DNo.

- Freudenberg, Maren und Dunja Sharbat Dar: Popular Cultural Representations of Postfeminist Religiosity in the International Christian Fellowship: An Analysis of the ‘Ladies Lounge 2021’ Webpagem, in: Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik 6,5 (2022), 271–93, https://doi.org/10.1007/s41682-021-00077-x .

- Teichen, Tobias und Rossmanith,Christian: Love, Sex, God. Der etwas andere Weg, Witten 2021.

- Triebel, Lothar: "Leiterschaft" statt demokratischer Strukturen. Organisation von Macht in ausgewählten neocharismatischen und pfingstlichen Freikirchen, in: Standpunkt, Zeitschrift des Ev. Bundes Österreich 244 (2021), 17-22, online abrufbar auf http://www.evangelischerbund.at/images/stories/albums/Standpunkt-Archiv/2021/Standpunkt_244-2021.pdf

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