Unierte katholische Ostkirchen

Überblick

Unter den unierten katholischen Ostkirchen versteht man die Kirchen, die in einem spezifischen historischen Kontext aus einem byzantinisch-orthodoxen oder orientalisch-orthodoxen Hintergrund kommend den päpstlichen Primat für sich anerkannt haben und damit unter der Bewahrung einer eigenen liturgischen und spirituellen Identität Teil der katholischen Kirche wurden. Sie besitzen innerhalb der katholischen Kirche rechtlich Eigenständigkeit und weitestgehende Selbstverwaltung. 
Ihre Entstehung fußt auf einem heute nahezu überwundenen Modell, das in der Rückkehr zur Katholischen Kirche unter Anerkennung des Päpstlichen Primates den einzigen Weg zur kirchlichen Einheit erkennen konnte. In den ökumenischen Gesprächen mit den orthodoxen und orientalisch-orthodoxen Kirchen stellen die unierten katholischen Ostkirchen einerseits einen sichtbaren Hinweis auf eine konfliktbelastete Vergangenheit im Miteinander der Konfessionen dar, bilden andererseits aber auch eine lebendige Brücke zu deren Spiritualität und Frömmigkeit.
 


Gegenwärtige Situation

Unierte katholische Ostkirchen gibt es heute weltweit in ganz unterschiedlichen Kontexten und unterschiedlichen multikonfessionellen Konstellationen. Die Bandbreite reicht von sehr großen Kirchen, die in ihren Ländern die oder eine der größten Konfessionen darstellen, bis zu sehr kleinen Gemeinschaften, die heute im Wesentlichen lebendige Zeugnisse einer bestimmten Geschichte des Strebens nach Einheit darstellen:

  1. Chaldäisch-katholische Kirche (ca. 350.000 Gläubige im Irak, Iran, Türkei und der Diaspora/ostsyrischer Ritus/Sitz des Ersthierarchen: Babylon, Irak)
  2. Syro-malabarische katholische Kirche (ca. 3,7 Mio.  Gläubige in Indien und der Diaspora/ostsyrischer Ritus/Sitz des Ersthierarchen: Kochi, Indien)
  3. Syro-malankarische katholische Kirche (ca. 400.000 Gläubige in Indien/westsyrischer Ritus/Sitz des Ersthierarchen: Trivandrum, Indien)
  4. Syrisch-Maronitische Kirche von Antiochien (ca. 3 Mio. Gläubige im Libanon und in der Diaspora/westsyrischer Ritus – Liturgiesprache aramäisch/Sitz des Ersthierarchen: Bkerke, Libanon)
  5. Syrisch-katholische Kirche (ca. 100.000 Gläubige im Libanon und Nahen Osten/westsyrischer Ritus – Liturgiesprache aramäisch/Sitz des Ersthierarchen: Beirut, Libanon)
  6. Koptisch-katholische Kirche (ca. 200.000 Gläubige in Ägypten/koptischer Ritus/Sitz des Ersthierarchen: Kairo, Ägypten) 
  7. Äthiopisch-katholische Kirche (ca. 200.000 Gläubige in Äthiopien/äthiopischer Ritus/Sitz des Ersthierarchen: Addis Abeba, Äthiopien)
  8. Armenisch-katholische Kirche (ca. 300.000 Gläubige im Nahen und mittleren Osten/ armenischer Ritus/Sitz des Ersthierarchen: Beirut, Libanon)
  9. Melkitisch-griechisch-katholische Kirche (ca. 1,3 Mio. Gläubige in Syrien, Libanon, Israel und der Diaspora/byzantinischer Ritus – Liturgiesprache arabisch/Sitz des Ersthierarchen: Damaskus, Syrien)
  10. Ukrainisch-griechisch-katholische Kirche (ca. 4,5 Mio. Gläubige in der Ukraine, Europa und den USA/byzantinischer Ritus – Liturgiesprache ukrainisch/Sitz des Ersthierarchen: Kiew, Ukraine)
  11. Ruthenisch-griechisch-katholische Kirche (ca. 600.000 Gläubige in der Ukraine, Slowakei, Tschechien und den USA/byzantinischer Ritus – Liturgiesprache kirchenslawisch/Sitz des Ersthierarchen: Užhorod, Ukraine)
  12. Rumänisch-griechisch-katholische Kirche (ca. 750.000 Gläubige in Rumänien und den USA/byzantinischer Ritus – Liturgiesprache rumänisch / Sitz des Ersthierarchen: Blaj, Rumänien)
  13. Griechisch-katholische Kirche in der Slowakei (ca. 225.000 Gläubige in der Slowakei/byzantinischer Ritus – Liturgiesprache kirchenslawisch/Sitz des Ersthierarchen: Prešov, Slowakei)
  14. Griechisch-katholische Kirche in Ungarn (ca. 270.000 Gläubige in Ungarn/byzantinischer Ritus – Liturgiesprache ungarisch/Sitz des Ersthierarchen: Nyiregyhaza, Ungarn)
  15. Italo-albanische Kirche (ca. 60.000 Gläubige in Italien und Albanien/byzantinischer Ritus – Liturgiesprache albanisch, italienisch) 

Präsenz und seelsorgerliche Situation in Deutschland

Durch das zunehmende Zusammenwachsen von Ost- und Westeuropa und die Umbrüche im Nahen Osten ist in den vergangenen Jahren die Präsenz von Gläubigen aus den unterschiedlichen unierten katholischen Ostkirchen in Deutschland stark angestiegen. Genaue Zahlenangaben sind nur schwer zu treffen, dürften sich aber im Bereich von mehr als Hunderttausend Gläubigen bewegen.
Trotz des Status als „ecclesiae sui iuris“ (Kirche eigenen Rechtes) besitzt nur die ukrainisch-katholische Kirche in Deutschland eine eigene bischöfliche Hierarchie. An ihrer Spitze steht seit 2021 der in München residierende Exarch für Deutschland und Skandinavien Bischof Bohdan Dzyurakh. Ihm unterstehen allein in Deutschland aktuell rund 50 Pfarreien, die von rund 30 Priestern geleitet werden. Bischof Bohdan ist ordentliches Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz der katholischen Kirche.
Die Seelsorge für die Angehörigen der anderen Denominationen erfolgt meist über Priester, die häufig mehr als nur eine Gemeinde betreuen und meist den Abteilungen für die muttersprachlichen Gemeinden in den jeweiligen römisch-katholischen Diözesen zugeordnet sind. Schon der sich oft über verschiedene Diözesen erstreckende Seelsorgeauftrag und die damit unklare Zuständigkeit zeigt, dass diese Verortung innerhalb der römisch-katholischen Strukturen der Eigenständigkeit der unierten katholischen Ostkirchen nur unzureichend gerecht wird. 
Von großer Bedeutung für die Ausbildung der Seelsorger und Chorleiter sowie Chorleiterinnen ist das in Eichstätt angesiedelte Collegium Orientale. Neben der Ausbildung der Kandidaten für das Priester- und Diakonenamt, wird hier das liturgische Erbe und die Kirchenmusik gepflegt und wichtige Übersetzungsarbeit geleistet. Das Collegium Orientale besitzt damit für die unierten katholischen Christen in Deutschland und weit darüber hinaus eine wichtige identitätsstiftende Funktion als Ort des Dialoges und der Pflege der eigenen Tradition. 
Auch wenn an vielen Stellen das Bewusstsein für die Bedeutung und die seelsorglichen Bedürfnisse unierter Katholiken in Deutschland noch wenig vorhanden ist, kann doch positiv bemerkt werden, dass in den vergangenen Jahren sich manches in die richtige Richtung bewegt: So kann nun beispielsweise in den Taufbüchern die Zugehörigkeit zu einer unierten katholischen Ostkirche vermerkt werden.
 


Geschichte

Die Geschichte der unierten katholischen Ostkirchen ist die Geschichte dieser jeweils eigenständigen Kirchen in ihren jeweiligen Kontexten und damit hochkomplex. Sie ist nur im Rahmen der Betrachtung der Kirchengeschichte des jeweiligen Entstehungsraumes und der Kirchengeschichte der katholischen Kirche als Ganzes zu verstehen. Verbindendes Element über die jeweils spezifischen lokalen Voraussetzungen und historischen Kontexte hinaus sind die am Beginn stehenden sogenannten Unionen: Häufig auch politisch konnotierte Rechtsakte zur Wiederherstellung der Einheit der Kirche in einem bestimmten begrenzten Gebiet, bei denen ein größerer Teil oder sogar eine ganze kirchliche Gemeinschaft den päpstlichen Primat förmlich anerkennt und damit Teil der katholischen Kirche wird. In den allermeisten Fällen gelang es damit nicht, das angestrebte Ziel der Einheit zu erreichen, da nur Teile der Ursprungs- bzw. Mutterkirche der Union beitraten und diese von dem verbliebenen Teil als Bruch der Gemeinschaft und Spaltung gedeutet wird. So entstanden aus dem Streben nach Einheit in der Folge häufig zwei kirchliche Gemeinschaften, die zwar in vielem aus denselben spirituellen Wurzeln leben, weitestgehend ähnliche liturgische Traditionen pflegen und sehr viel Übereinstimmung in ihrer Rechtgestalt besitzen, aber gleichzeitig unterschiedlichen Kirchen (im konfessionellen Sinne) angehören. Viele Unionen entstanden in Regionen und in historischen Kontexten, in denen sich unterschiedliche Kulturräume überschneiden und begegnen (Naher Osten/Mittel- und Osteuropa). Unierte katholische Ostkirchen sind damit auch immer ein lebendiges Zeichen der kulturellen Begegnung. 

Da solche Begegnungen häufig nicht konfliktfrei verlaufen und mit ganz unterschiedlichen politischen Interessen verbunden sind, werden sie teilweise bis heute auch mit Brüchen und negativer kultureller Einflussnahme verbunden. Viele katholische unierte Ostkirchen wurden deshalb in ihrer Geschichte Opfer von Unterdrückung und Verfolgung. Dies betrifft in besonderer Weise die im Einflussbereich des ehemaligen Ostblocks beheimateten Kirchen, die oft über Jahrzehnte ihren Glauben nur im Untergrund und um den Preis staatlicher Repression leben konnten. 

In Folge der Migrationsbewegungen der Neuzeit sind heute häufig nicht unbedeutende Teile dieser Kirchen in der Diaspora (Europa, Nordamerika) beheimatet, was häufig zu nicht spannungsfreien Dialogprozessen innerhalb der Kirchen führt.
 


Glaubensinhalte

Auch in ihren theologischen Grundlagen zeigen die unierten katholischen Ostkirchen die gesamte Vielfalt ihrer jeweiligen historischen und regionalen Kontexte. Auch wenn ein über die Jahrhunderte an vielen Stellen wachsender Einfluss römisch-katholischer Denkmodelle (zum Beispiel eine eher  juristisch-systematische Überformung in Fragen der Soteriologie, der Gnadenlehre oder der Ekklesiologie) festzustellen ist, so sind doch die theologischen Wurzeln der jeweiligen Herkunftstradition weiter lebendig und werden zunehmend auch wieder bewusst gepflegt. 
In der Ekklesiologie betonen die unierten katholischen Ostkirchen gleichzeitig ihre kirchliche Eigenständigkeit (ecclesia sui iuris) und ihre Zugehörigkeit zum Ganzen der katholischen Kirche. Sie verstehen sich als Kirchen innerhalb der einen Kirche und damit als lebendiges Zeichen des Zueinander von Einheit und Vielfalt innerhalb der katholischen Weltkirche.
Dies spiegelt sich sichtbar auch darin wider, dass es seit 1990 für die unierten katholischen Ostkirchen mit dem Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) ein eigenes Gesetzbuch gibt, das deren Eigenständigkeit an vielen Punkten (bekanntestes Beispiel ist wohl die Zulassung der Eheschließung der Priesteramtskanditaten) zeigt.
 


Kirchliches Leben

Die unierten katholischen Ostkirchen bringen in die katholische Kirche einen großen Reichtum liturgischer und spiritueller Traditionen ein, die sie in ihren jeweiligen Kontexten pflegen und lebendig weiterentwickeln. Allein im Feld der Liturgie reichen die Feierformen von Kirchen, die aus der byzantinischen Tradition heraus leben, über Kirchen, die von der west- und ostsyrischen Tradition geprägt sind, bis hin zu solchen, die im alexandrinischen, äthiopischen oder armenischen Ritus feiern. 
Durch diese lebendig gepflegte Vielfalt, die sich auch in der Spiritualität und in konkreten Rechtsfragen zeigt, werden sie zu einem notwendigen Hinweis innerhalb der einen katholischen Kirche bei aller Einheit, die Vielfalt auch innerhalb der eigenen Kirche zu pflegen. Sie können damit heilsame Erfahrungen für an manchen Stellen eingetretene Verengungen liefern. 
Von besonderer Bedeutung für die Spiritualität der unierten katholischen Ostkirchen ist die Pflege und Feier der Liturgie und des Stundengebetes, das Fasten und die Pflege des inneren Gebetes und eine hohe Wertschätzung des Mönchtums als wichtige Säule des kirchlichen Lebens.  
 


Ethik

Was im Hinblick auf Theologie und das kirchliche Leben über die Vielfalt gesagt wurde, trifft auch für diesen Bereich zu: Die Vielfalt der Zugangsweisen ist so breit wie die Vielfalt der Kirchen und Kontexte, in denen sie wirken. Manche der Kirchen spielen in den oft sehr pluralen Kontexten ihrer Herkunftsländer eine wichtige gesellschaftliche Rolle und prägen die Debatten zum Beispiel in der Ukraine oder im Libanon mit. Durch den mittlerweile oft hohen Anteil an Diaspora-Gemeinden und Verbindungen zur Weltkirche können oft auch kleine Kirchen im diakonischen und Bildungsbereich bedeutende Beiträge leisten. 
Im Feld der individualethischen Fragen ist interessanterweise gerade in moraltheologischen Fragestellungen (zum Beispiel in Fragen des Umgangs mit der Ehescheidung) der Einfluss des römisch-katholischen Rechtsdenkens wesentlich deutlicher zu spüren als in anderen Feldern der gelebten Glaubenspraxis.
 


Ökumene

Allein die Existenz der unierten katholischen Ostkirchen ist, besonders in ökumenischen Gesprächen mit Orthodoxen, immer wieder Gegenstand heftiger Debatten gewesen, die den Dialog teilweise sogar an die Grenzen des Scheiterns gebracht haben. Denn für viele Orthodoxe stellen diese Kirchen ein schmerzhaftes Zeugnis des historischen, aber bis heute im Hintergrund vermuteten römischen Machtanspruchs, die Einheit durch das Abwerben von Teilen anderer Kirchen durch Unionen voranzutreiben, dar. Dabei helfen auch wichtige bilaterale Vereinbarungen wie das katholisch-orthodoxe Konsenspapier von Balamand (1993), das klar betont, dass der Uniatismus kein ökumenisches Modell für die heutige Katholische Kirche ist, nur sehr bedingt weiter. Das gesamte Themenfeld ist gerade unter den Voraussetzungen der Umbrüche in den ehemaligen sowjetischen Einflusszonen und dem damit verbundenen Wiedersichtbarwerden der zuvor nur im Untergrund agierenden unierten Ostkirchen mit enormen Emotionen und Verletzungen auf beiden Seiten verbunden. Um an diesem Punkt nachhaltig voranzukommen, bedarf es neben wiederholten theologischen Klarstellungen eines langfristig angelegten, sensiblen Prozesses des Healing of Memories.

Florian Schuppe

gegengelesen von Andriy Mykhaleyko
 


Literatur

Mykhaleyko, Andriy: Die katholischen Ostkirchen, Göttingen 2012 (Die Kirchen der Gegenwart 3).
Oeldemann, Johannes: Die Kirchen des christlichen Ostens. Orthodoxe, orientalische und mit Rom unierte Ostkirchen, Regensburg 42016. 
Suttner, Ernst Christian: Das wechselvolle Verhältnis zwischen den Kirchen des Ostens und des Westens, Würzburg ²1997.
de Vries, Wilhelm: Rom und die Patriarchate des Ostens, Freiburg i.Br. 1963.
 

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