Gebetshausbewegung

Begriff und Geschichte

Der Begriff ‚Gebetshaus‘ stellt eine Selbstbezeichnung von zumeist überkonfessionellen, charismatisch geprägten Initiativen dar. Sie haben einen öffentlich zugänglichen Ort geschaffen, an dem über einen unbegrenzten Zeitraum hinweg möglichst lange Zeit oder sogar ununterbrochen gebetet wird. Gebetshäuser sind größtenteils nicht mit einem ganzen Gebäude zu identifizieren. Vielmehr bildet der Gebetsraum den zentralen Gebetsort. Je nach Möglichkeit stehen weitere Räumlichkeiten als Büro, Schulungsraum oder Café zur Verfügung. Eine besondere Ausbildung ist für die Gestaltung von Gebetszeiten nicht notwendig. Auch wenn die Gebetshäuser diese Merkmale teilen und in Theologie und Praxis zahlreiche Übereinstimmungen vorweisen, sind sie doch nicht organisatorisch verbunden. Derzeit dürften in Deutschland zwischen 40 und 70 Gebetshäuser existieren, wobei die Grenze zu innergemeindlichen Gebetsgruppen teils unscharf verläuft. Der Begriff Gebetshaus bezieht sich auf Jes 56,7 bzw. Mk 11,17 und lehnt sich dabei an den englischen Terminus „house of prayer“ an, den vor allem das „International House of Prayer“ in Kansas City (IHOPKC) geprägt hat.
Diese Initiative, die unter der Leitung von Mike Bickle seit ihrem Gründungsjahr 1999 nach eigenen Angaben rund um die Uhr betet, gilt als einflussreichstes Gebetshaus weltweit. Sie hat zur Etablierung von zahlreichen vergleichbaren Einrichtungen inspiriert, wie etwa zu der des Gebetshauses Augsburg 2007 unter der Regie von Johannes Hartl. Ebenfalls in Deutschland entstand bereits 2003 das Gebetshaus Freiburg, 2005 folgten die Gebetshäuser der Freien Christlichen Jugendgemeinschaft (FCJG) Lüdenscheid und des Christlichen Zentrums Herrnhut (nicht zu verwechseln mit der Herrnhuter Brüdergemeine!). Bis heute orientieren sich Gebetshäuser in Deutschland am IHOPKC. Einige von ihnen spielen regelmäßig den Webstream aus Kansas City ein. Ebenso wie ihr US-amerikanisches Pendant ermöglichen manche hiesigen Einrichtungen Praktika, führen Schulungen durch und veranstalten Konferenzen. Mit 12.000 Besuchern im Jahr 2020 sorgte vor allem die MEHR-Konferenz des Gebetshauses Augsburg für mediale Aufmerksamkeit.
 


Praxis und theologische Kernthemen

Das Hauptaugenmerk der Gebetshäuser liegt dennoch weniger auf solchen Großveranstaltungen als vielmehr auf dem regelmäßigen Gebet. Strukturiert werden die Abläufe einer Woche durch einen üblicherweise online abrufbaren Zeitplan. Darin sind die zumeist ein- oder zweistündigen Gebetszeiten verzeichnet. Jede Gebetszeit steht unter einem bestimmten Titel, wie etwa „Anbetung“ bzw. „Lobpreis“, „Lobpreis und Fürbitte für …“ oder „Kontemplatives Gebet“. Ehrenamtliche oder hauptamtliche Mitarbeiter leiten die Gebetszeiten. Teilweise ist eine Person allein verantwortlich, teilweise gestaltet ein sog. „Anbetungsleiter“ mit einer Band das Geschehen. Für die Fürbitte kann ein separater sog. „Gebetsleiter“ thematische Anstöße geben. In vielen Stunden dominiert moderne Pop-Lobpreismusik. Das IHOPKC strukturiert die meisten seiner Gebetszeiten nach einem „Harp & Bowl“ genannten Muster (angelehnt an Offb 5,8), das auch in vielen deutschen Gebetshäusern Anwendung findet. Dabei werden die 120 Minuten mit Lobpreisliedern begonnen und abgeschlossen. Dazwischen spricht der Gebetsleiter Gebete oder verliest Bibelstellen, die die Sänger in einem improvisierten Gesang verarbeiten und in einen Chorus überführen.
In diesem Format deutet sich bereits an, dass Gebet im Kontext der Gebetshäuser vor allem Anbetung und Fürbitte beinhaltet. Speziell in der Anbetung erleben Menschen in den Gebetshäusern immer wieder Momente, die sie als Erfahrung der Gegenwart Gottes beschreiben. Für die Fürbitte ist die Auffassung grundlegend, dass Bittgebet Gott zu einer Handlung bewegen kann.
In der theologischen Begründung der Gebetshauspraxis besitzt das Motiv der Hütte Davids (vgl. 1 Chr 15f) große Relevanz. Rainer Harter, Gründer des Gebetshauses Freiburg, sieht darin das „erste 24-Stunden Gebetshaus“. Außerdem wird aus Bibelstellen wie beispielsweise Jes 62,6f, Ps 134,1 oder 1 Thess 5,17 sowie aus dem Motiv des himmlischen Gottesdienstes eine Aufforderung zum kontinuierlichen Gebet abgeleitet. Überdies nehmen die Gebetshäuser Impulse aus verschiedenen Gebetspraktiken, wie etwa der monastischen Tradition oder der Herrnhuter Gebetswacht auf. Die meisten Gebetshäuser stimmen in der Vision überein, jeden Tag der Woche 24 Stunden beten zu wollen (24/7). In Deutschland gelingt das allerdings derzeit nur dem Gebetshaus Augsburg. Dieser Wunsch nach kontinuierlichem Gebet steht im Zusammenhang mit einer vergleichsweise starken Akzentuierung der Eschatologie in den Gebetshäusern. Auch wenn die teils sehr konkreten Vorstellungen aus dem IHOPKC in deutschen Gebetshäusern mit Distanz wahrgenommen werden, scheinen sich bedeutende Vertreter doch darüber einig zu sein, dass Gebet die Wiederkunft Christi vorbereitet oder gar anbahnt. 

Michael Müller
 


Literatur

Harter, Rainer: Die Gebetshausbewegung. Ein Buch für Interessierte, Gründer und Mitarbeiter, Holzgerlingen 2018.
 

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