Adventisten
Situation in der Gegenwart
Die Siebenten-Tags-Adventisten (STA) bilden eine evangelische Freikirche mit weltweiter Verbreitung. Zu ihr gehören ca. 20,7 Mio. getaufte Mitglieder, wobei der Schwerpunkt in den Ländern Südamerikas, Afrikas und Asiens liegt. Die Organisation ist stärker zentralistisch als bei vielen anderen Freikirchen. Entscheidungsinstanz in Organisations- und Lehrfragen ist die weltweite Generalkonferenz, zu der Delegierte aus allen „Divisionen“ entsendet werden. In Deutschland umfasst die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten ca. 34.000 Gemeindeglieder.
Geschichte
Die Adventisten gehören in das Spektrum der Religionsgemeinschaften, die in der religiös bewegten Zeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA entstanden sind. Aus dieser Entstehungsgeschichte wirken verschiedene Prägungen bis heute nach und geben dem Adventismus sein besonderes konfessionelles Profil. Dem Wesen der Gemeinschaft lässt sich näherkommen, wenn man von ihrem Namen ausgeht. Darin sind zwei Begriffe zentral: „Advent“ und „Siebenter Tag“.
Advent: Miller-Bewegung und die Apokalyptik
Die Wurzeln des Adventismus liegen in der Bewegung um den Farmer William Miller (1782-1849). Dieser meinte, in dem biblischen Buch Daniel einen Schlüssel für die Berechnung der Zeit der sichtbaren Wiederkunft von Jesus Christus gefunden zu haben. Zahlreiche Menschen schlossen sich ihm an. Nach einem ersten Fehlschlag 1843 datierten große Teile der Bewegung den 22. Oktober 1844 als Termin für dieses Ereignis. Als der Tag verstrich, ohne dass etwas Besonderes passierte, war die Enttäuschung groß. Die Bewegung zersplitterte. Ein Teil versuchte sich in neuen Berechnungen. Daraus entstanden später die „Zeugen Jehovas“. Andere wie z.B. der Farmer Hiram Edson (1806-1882) und der ehemalige Kapitän Joseph Bates (1792-1872) blieben bei dem von Miller berechneten Termin, gaben ihm aber eine andere Interpretation. Nach ihrer Auffassung ist Christus an diesem Tag nicht (wie zunächst erwartet) sichtbar auf die Erde wiedergekommen, sondern sein Dienst im himmlischen Heiligtum ist in eine neue Phase getreten. Christus ist dort vom Heiligen ins Allerheiligste hinübergegangen, um die Sünden der Menschheit zu tilgen. Diese sogenannte „Heiligtumslehre“ gehört bis heute zum Kernbestand adventistischer Überzeugungen – ebenso wie die lebendige Erwartung der Wiederkunft (Advent = Ankunft) von Jesus Christus zur endgültigen Erlösung aller wahren Christen und ein besonderes Interesse an den biblischen Büchern Daniel und Offenbarung des Johannes.
Prophetie
Dass die Prophetie im Adventismus hohen Stellenwert genießt, liegt vor allem an einer Person: Ellen Gould Harmon White (1827–1915). Als junge Christin aus methodistischem Elternhaus hatte sie sich der Miller-Bewegung angeschlossen. Mit ihren Visionen und zahlreichen Schriften wurde sie für die Adventbewegung sehr wichtig. Ihre Bedeutung ist vergleichbar mit der von Martin Luther für die lutherischen, Johannes Calvin für die reformierten oder John Wesley für die methodistischen Kirchen – und das, obwohl sie nie ein offizielles Amt in der adventistischen Gemeinschaft innehatte. Aber aus adventistischer Sicht gelten ihre Schriften als „inspiriert“. Oft wird innerhalb des Adventismus mit Zitaten aus ihren Werken argumentiert. Dennoch wird Wert darauf gelegt, dass die Schriften von E.G. White nicht die Lehre der Adventisten begründen – denn Grundlage des Glaubens soll allein die Bibel sein. Ellen White habe lediglich zum Verständnis der biblischen Wahrheiten beigetragen. Außerdem müssten ihre Aussagen – wie alle Prophetie – anhand der Bibel überprüft werden.
Ausbreitung
Seit den 1870er Jahren entwickelte der Adventismus eine gezielte weltweite Missionsstrategie. Ab 1876 bildeten sich in Deutschland erste Adventgemeinden. In Friedensau bei Magdeburg entstand ab 1899 ein Zentrum des Adventismus in Deutschland. Bis heute ist dort die theologische Hochschule der STA angesiedelt. Auf der „Marienhöhe“ in Darmstadt befindet sich ein adventistisches Schulzentrum.
Glaubensinhalte
Adventisten haben ihre Glaubensüberzeugungen in 28 Artikeln formuliert. Diese geben einen vergleichsweise kompakten und authentischen Überblick über die theologische Substanz des Adventismus.
Siebenter Tag (Sabbat)
Prägend für den Adventismus ist neben der Wiederkunftserwartung die Sabbatlehre. Von den Siebenten-Tags-Baptisten wurde die Auffassung übernommen, dass der alttestamentliche Sabbat von zentraler Bedeutung in der göttlichen Schöpfungsordnung wie auch im biblischen Zeugnis sei. Deshalb meinen Siebenten-Tags-Adventisten, dass auch für Christen der Sabbat als der von Gott festgesetzte Ruhetag zu begehen sei. Damit setzen sie den Samstag gegen den Sonntag, wie er sich in der frühen Christentumsgeschichte als Erinnerung an den Tag der Auferstehung von Jesus als Gottesdienst- und Feiertag herausgebildet hat.
In der Entstehungszeit des Adventismus spielte die Sabbat/Sonntag-Kontroverse eine wichtige Rolle für die Herausbildung des adventistischen Selbstbewusstseins und zur Abgrenzung von anderen christlichen Kirchen, die den Sonntag feiern. Trotz nach wie vor verschiedener Auffassungen hat dieser Gegensatz heute aber an Schärfe verloren. Adventisten und andere Christen können sich inzwischen gemeinsam für die Einhaltung des Feiertagsschutzes engagieren und erkennen die Wohltat, die Gott mit dem Ruhetag den Menschen gestiftet hat, ohne sich in der Frage des „richtigen“ Wochentages zerstreiten zu müssen. Allerdings gibt es kleinere adventistische Splittergruppen, die nach wie vor die Sabbatfrage für absolut heilsnotwendig halten und mit der Meinung auftreten, wer nicht den Sabbat halte, sei der Antichrist.
Bibel
Für adventistisches Selbstverständnis wesentlich ist der starke Bezug auf die Bibel. Adventisten möchten die ganze Bibel ernst nehmen. Nicht ohne Grund handelt die erste der adventistischen Glaubensüberzeugungen von der Heiligen Schrift und ihrer Inspiration durch Gott. Als „höchste, maßgebliche und unfehlbare Offenbarung seines Willens“ soll sie „Maßstab für den Charakter und der Prüfstein aller Erfahrungen“, „endgültige Offenbarungsquelle aller Lehre“ und zuverlässiger „Bericht von Gottes Handeln in der Geschichte“ sein. In der Praxis zeigt sich die Bedeutung der Bibel für adventistisches Glaubensleben u.a. darin, dass vor den Predigtgottesdiensten am Sabbat regelmäßig ein einstündiges Bibelgespräch in Gruppen stattfindet. Anleitung und Unterstützung für das Bibelgespräch kommt von einem Studienheft, das zentral von der Weltkirchenleitung der Adventisten herausgegeben wird.
Schriftverständnis
Nicht spezifisch für den Adventismus, aber ihn doch über weite Teile prägend ist ein biblizistisches Schriftverständnis. Dies zeigt sich u.a. in der Ablehnung der historisch-kritischen Methode der Schriftauslegung wie auch der Evolutionstheorie. Bei der 2015 erfolgten Neuformulierung der Glaubensüberzeugungen wurde im Artikel 6 mit der historischen Interpretation der Schöpfungsgeschichte ein sogenannter Kurzzeitkreationismus (Schöpfung in 6 Erdentagen) verankert. Heftige interne Auseinandersetzungen gibt es gegenwärtig auch um die Frage der Frauenordination, die in wenigen Ländern praktiziert, von der Generalkonferenz aber abgelehnt wurde. Gleichwohl gibt es an adventistischen Universitäten und in etlichen Gemeinden eine sehr reflektierte Theologie, die nicht das Attribut „fundamentalistisch“ verdient.
Der große Kampf
Das wichtigste Buch von E.G. White trägt den Titel „Der große Kampf“ (englisch: The Great Controversy). Der Titel und der Inhalt des Buches geben einen Eindruck von der Grundstimmung adventistischer Weltsicht: Alles ist bestimmt von der großen grundlegenden Kontroverse zwischen Christus auf der einen und Satan auf der anderen Seite. Die ganze Heilsgeschichte steht in dieser Spannung und die Erde gilt als Austragungsort dieses kosmischen Konflktes.
Glaubens- und Gemeindeleben
Als evangelische Freikirche praktizieren die Siebenten-Tags-Adventisten die Taufe und das Abendmahl, allerdings ohne ein sakramentales Verständnis. Die Taufe wird als Untertauchtaufe nach Bekenntnis des eigenen Glaubens vollzogen. Eine Säuglingstaufe wird abgelehnt. Dem Abendmahl geht eine Fußwaschung voraus. Dieses Ritual, das auf Joh 13 Bezug nimmt, gehört auch zu den Besonderheiten des Adventismus.
Ethik
Im Adventismus wird auf die Einhaltung biblischer und gemeindlicher Verhaltensregeln Wert gelegt. Das Bemühen um Heiligung zeigt sich auch in der Beachtung von Hinweisen zur gesunden Lebensführung und alttestamentlicher Speisegebote. So bevorzugen Adventisten eine vegetarische Ernährung. Gefordert ist der Verzicht auf Schweinefleisch und viele meiden Alkohol. Viele Gesundkost-Artikel und Cornflakes sind z.B. ursprünglich adventistische Erfindungen unter dem Einfluss der Lebensreformbewegung, die E.G. White in den Adventismus integrierte.
Weltweit sind Adventisten stark im Bildungsbereich und im Gesundheitssektor engagiert. So gibt es über 8000 Schulen, etwa 50 Universitäten und über 600 Krankenhäuser, Kliniken und Sanitätsstationen sowie 23 Gesundkost-Fabriken in adventistischer Trägerschaft.
Ökumene
Der Weg in die Ökumene der christlichen Kirchen ist für die Adventisten nicht ganz leicht gewesen. In der Intensität der Beziehungen bestehen auch regionale Unterschiede und mancherorts Vorbehalte gegen ökumenisches Engagement. Die Entstehungszeit ist von einer wechselseitigen Dynamik geprägt: Ausgrenzung der Miller-Bewegung durch die Kirchen einerseits und ein exklusives Selbstverständnis der jungen Adventbewegung andererseits. Zentrale Begriffe dabei sind „die Übrigen“ und die „dreifache Engelsbotschaft“ aus Offb 14 (vgl. Glaubensüberzeugung Nr. 13). In der klassischen adventistischen Interpretation werden die Übrigen mit den Adventisten, Babylon mit den anderen Kirchen und das Malzeichen des Tieres mit der Sonntagsfeier gleichgesetzt. Durch intensive Beschäftigung mit den biblischen Texten haben Adventisten heute aber auch zu anderen Deutungen gefunden, die ein gemeinsames Zeugnis und Dienst mit anderen Kirchen erlauben. „Die Übrigen“ können heute auch als die große Schar derer verstanden werden, die in allen Kirchen auf Gottes Stimme hören. 1994-98 fanden ökumenische Gespräche auf Weltebene zwischen dem Lutherischen Weltbund und der Generalkonferenz der STA statt, 2011-12 gab es Gespräche mit der Mennonitischen Weltkonferenz. 2017-21 erfolgten Sondierungsgespräche zwischen der Freikirche in Deutschland und dem Deutschen Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes. In der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) Deutschland sind die Adventisten seit 1993 als Gastmitglied vertreten und seit neuestem in einigen ostdeutschen ACKs (Thüringen 2019, Berlin-Brandenburg 2019, Sachsen-Anhalt 2020, Sachsen 2021) auch als Vollmitglied.
Harald Lamprecht
gegengelesen von Stefan Höschele
Literatur
Artikel „Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten“, in: Handbuch Weltanschauungen, religiöse Gemeinschaften, Freikirchen, im Auftrag der Kirchenleitung der VELKD herausgegeben von Matthias Pöhlmann und Christine Jahn, Gütersloh 2015, 159-178.
Feichtinger, Christian: Das geheiligte Leben. Körper und Identität bei den Siebenten-Tags-Adventisten, V&R unipress, Göttingen 2018 (Kirche – Konfession – Religion, Bd. 72).
Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten (Hg.): Christsein heute. Gelebter Glaube, Advent-Verlag, Lüneburg 2007.
Obst, Helmut: Ellen Gould White – Botin der Gemeinde der Übrigen. In: Apostel und Propheten der Neuzeit. Gründer christlicher Religionsgemeinschaften des 19. und 20. Jahrhunderts, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000, 351-408.
Pöhler, Rolf: Hoffnung, die uns trägt. Wie Adventisten ihren Glauben bekennen, Advent-Verlag, Lüneburg 2008.